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September, 2015

  1. Die ersten drei Wochen

    September 15, 2015 by Max Bröker

    Wir sind jetzt schon über drei Wochen hier in Auroville.

    (sorry für die viel zu großen Bilder, nächstes mal klappt das vileicht besser)
    Die erste Woche war sehr aufregend, zeitlich sehr eng geplant und recht anstrengend. Wir haben fast alle von uns besezten Projekte mit den Leihrädern besucht, haben die wichtigsten POIs Aurovilles gesehen und viele spannende Infos bekommen. Durch das strenge Programm war kaum Zeit für Ankommen oder reflektieren, dafür wurde glaube ich bei den meisten eine menge Vorfreude und Lust geweckt, diesen bisher sehr undurchsichtigen (sehr viele Bäume) Ort zu erkunden.
    Wir haben uns unzählige male verfahren, haben verschiedene Essensmöglichkeiten kennengelernt und verschiedene Wohnungen besichtigt, die jetzt teilweise von uns bewohnt werden.
    Ich bin mit Vincent, Caro und Frederic in die drei Kapseln auf der discipline Farm eingezogen, mit Frederic arbeite ich seit Mittwoch auch auf dieser Farm, wir haben also einen komfortabel kurzen Arbeitsweg.
    Die Kapseln sind sehr cool, aus fast nur Naturmaterialien gebaut und eine besondere Erfahrung des (Gemeinschaflichen Zusammen-)Lebens und zumindest jetzt noch, der Zeit vor dem Monsum, paradiesisch.

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    Wir abendessen hier zusammen bei Kerzenlicht unter der größten der drei Kapseln, viele Vögel, Kleintiere und Nager sorgen für Geräuschkulisse, man sieht außenrum nicht viel außer Palmen und Bananenstauden und all das zusammen schafft eine sehr friedliche Atmosphäre.

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    Die Farmarbeit haben wir beide mit Jähten begonnen, war ein entspannter Einstieg in unsere derzeitigen halben Arbeitstage. Mitlerweile wurde es aber schon interessanter und wir haben viele verschiedene Dinge ausprobiert. Das viele Schubkarrenschieben und Kuhgraßtragen und süßkartoffelfeld Gräben Bauen und derartiges schlauchen, ist aber klasse.
    Bei Mittagessen in der Solarkitchen treffen wir dann meist ein paar bekannte Gesichter und bedienen uns reichlich am warmen Buffet. Denn der Hunger ist dann sehr vorhanden. Nachmittags haben wir die ersten beiden Arbeitswochen Tamilunterricht, sehr spannend und meiner Meinung nach auch sehr wichtig, ich würde mich gerne besser mit den Arbeitern verstehen, leider ist der Unterricht zeitlich in einem Energie-Loch. Ein extrem-cold-vegan-icecream-coffe (oder so) in der Kofibar vorher ist von nun an meine Art der Vorbereitung, bewirkt Wunder. Mein längerfristiger Plan ist aber, einen Hängemattenmittagsschlaf nach dem Essen zu halten, soweit der Plan.
    Viele fahren mittlerweile Motorrad oder TVS (das hier übliche Mofa), wir hatten schon ein paarmal Anfängertraining mit Jürgen und abgesehen von ein paar kleineren Umfällen ist nix schlimmes passiert, trotz der schwierigen Bedingungen. Bisher sind alle halbwegs glimpflich davongekommen, ich wurde bisher von Unfällen verschont, habe aber bei einer Motorradtour letztes Wochenende meine Haare verloren (Mailam Murugan Tempel, Haaropferungsstätte)

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    Ich habe von Max letzten Jahres Motorrad und Fahrrad übernommen, was mir das mobil Werden sehr einfach gemacht hat und ich sicher sein konnte, nicht Mist zu kaufen. An beiden Gefährten bin ich viel am Schrauben und machen, mit Fahrrädern kenn ich mich schon aus, das Motorrad werde ich auch noch verstehen. Ich genieße es jetzt schon, daran rumzubasteln und die vielen Baustellen, die meine Maschien wie alle anderen auch hat, zu finden und zu erledigen.

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    Jürgen ist da ein super Ansprechpartner mit Wissen und Werkzeug.
    Der mitgebrachte Helm ist super, ich bin froh ihn mitgenommen zu haben. Ich bin hier fast der einzige der mit Helm fährt, halte ich wie auch feste Schuhe für ein enormes Sicherheitsplus im indischen Verkehr, dem für ums Freiwilligen gefährlichste Teil des Jahres.
    Wir haben schon gemeinsam gekocht, einige Menschen ausserhalb unserer noch recht verbundenen Gruppe kennengelernt und fangen langsam an  workshops, Aktivitäten und anderen diversen Veranstaltungen auszuprobieren und kommen so dem Auroville Ding langsam näher. Ich hab ein sehr gutes Gefühl was Auroville angeht, ich bin mir sicher dass hier enorm viel Wichtiges passiert.
    Ich bin begeistert und möchte mit meiner Energie die Sache unterstützen und mitwirken.

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    Heute habe ich eine unserer Hängematten repariert, das verdient einen eigenen Eintrag denn die Hängematte hat wohl Legendenstatus.

    Unsere Kapsel-WG ist nach ein paar Tagen Hau ruck Aufräumen und ausmisten sehr schön und sauber geworden und wir vier fühlen uns momentan sehr wohl hier.

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    Ich komme mit den indischen speisen gut klar, verde aber bewusst drauf achten neben weißem Reis und Fritiertem noch andere Energiequellen zu erschließen nich am Ende Teil des indischen Trends zum Diabetes-Weltführer zu werden. Die Mischung aus Solarkitchen und Selberkochen wird das wohl richten können. Aber es schmeckt auf jeden fall sehr gut.

    Ein paar von uns haben sich schon traditionelle Kleidung gekauft, ich probiere im Moment den Lungi aus, ein Tuch das zu nem Rock gewickelt wird. Muss ich aber noch üben dass ich den unterwegs nicht verliere. Ob der Lungi auch praktisch betrachtet eine Daseinsberechtigung hat werde ich prüfen.
    Das Bandana, das ich mir aus zurückgelassener Kleidung ausgeschnitten habe, ist momentan mein uv-Schutz meiner eigentlich wunderbaren Glazte, ist auch etwas halbwegs traditionelles.

    Das Wetter gefällt mir persönlich super, es ist immer heiß und nur leicht windig. Da ich täglich 3 bis 5 liter (gefiltertes) Wasser trinke, kann ich wunderbar viel schwitzen und bin sehr fit. Nachts kühlt es etwas runter, aber nicht so dass sich langärmlige Kleidung gegen Mücken wirklich angenehm tragen lässt.
    Die Ventilatoren, die in vielen Orten aufgehängt und meistens am laufen sind mag ich nicht, sie kühlen zwar effizient aber auf sehr ungemütliche Weise und nachts führen sie bei ein paar von uns auch zu erkältungsähnlichen Zuständen. Unsere Kapseln sind zum glück Ventilator-frei.
    Kommen wir dann tagsüber mal in einen Klimaanlagenbestückten Raum, fühlt man sich erstmal wie im Kühlschrank bis sich der Körper an die vergleichsweise kalten ~25 °c gewöhnt hat.
    Neben all den schönen Dingen des Ankommens habe ich aber auch außerhalb Autovilles schon viel arme Menschen, deren Leben ich noch mehr verstehen möchte, gesehn. Ich habe  wiederholt üble Gewalt, teils in Verbindung mit Alkohol gesehen und eine Tochter eines Bekannten hat versucht, Selbstmord zubegehn.
    Diese für mich bisher nur auf Beobachtungen beschränkten Erfahrungen zeigen mir ganz klar, das das Paradies, in dem wir jetzt sind, räumlich ganz klein ist und nur für ein paar wenige priviligierte Menschen  offen ist.
    Ich bin gespannt wie es weitergeht. Langweilig wird es hier bestimmt nicht.

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    Eine Nutzungsweise von vielen von Kokosnüssen

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    Murugan Temple vorm Haareschneiden

    Liebe Grüße


  2. Besuch im Nadakuppam Environmental Education Centre

    September 15, 2015 by Vince

    Letzte Woche haben Caro und ich unseren freien Samstag dafür geopftert – oder besser gesagt: Wir haben die wunderbare Chance dazu bekommen, im Rahmen unseres Projektes „Pitchandikulam Forest“ in das ca. 30-40km nördlich von Auroville gelegene Dorf Nadakuppam zu fahren, wo Pitchandikulam mit den „NEEC“ einen zweiten Standpunkt aufgebaut hat, um deren Arbeit von Auroville auch auf dessen Umgebung, die sog. „Kaliveli-Bioregion“, und dementsprechend in die dort ansässigen Dorfkommunen auszuweiten.

    Die Arbeit dort begann damit, dass Pitchandikulam vor ca. 8 Jahren anfing, die dort gelegene Nadakuppam Village School zu unterstützen, indem z.B. sanitäre Anlagen mit natürlichem Wasseraufbereitungssystem und weitere Lehrgebäude errichtet wurden, Bäume gepflanzt, Zäune und ein Gemüsegarten angelegt, sowie diverse Umweltbildungsprojekte und -workshops durchgeführt wurden und werden. Mittlerweile übernimmt dies vorrangig das schulinterne Lehrpersonal, das, von Pitchandikulam ausgebildet, die Lehrprogramme über Ökologie, Abfall- und Wasserbewusstsein, heimische Flora und Fauna, sowie organische Landwirtschaft mit sehr praktischer Ausrichtung inzwischen nahezu selbstständig durchführt. Wirklich beeindruckend ist dabei, dass sich seit dem Beginn der Arbeit dort die Rate der Schüler mit erfolgreichem Abschluss von 9,3% auf 80% erhöht hat.

    Weiterhin sind dort das Nadakuppam Field und der Nadakuppam Forest entstanden bzw. gerade immer noch dabei, zu entstehen.

    CIMG3837Wasseraufbereitungssystem der Schule

     

    Nadakuppam Field

    Das Field bietet Raum für die Arbeit mit benachteiligten Frauen der Region, welche sich zu Arbeitsgruppen zusammenschließen, die dann in der Perspektive zu kleinen, sich selbst tragenden Unternehmen heranreifen sollen.

    Pitchandikulam bietet dazu verschiedene Workshops, z.B. zu traditioneller Pflanzenheilkunde oder verschiedenen Handwerken, sowie zu Marketing an und unterstützt die Gruppen bei der Vermarktung ihrer Produkte innerhalb Aurovilles und der Region.

    Mittlerweile sind daraus schon 24 Unternehmen hervorgegangen, die u.a. pflanzliche Medizin, ayurvedische Nahrungsmittel, Lampenschirme und Hängematten produzieren. Einige davon arbeiten und finanzieren sich bereits komplett selbstständig. Ein Unternehmen, das Spirulina-Algen züchtet und verarbeitet, befindet sich auch direkt auf dem Gelände. Außerdem betreuen die Frauen dort das Tree-Nursery, welches die Grundlage für die Aufforstungsarbeit im Nadakuppam Forest bildet.

    DSC00583CIMG3834   Workshop zu Pflanzenheilkunde                   Spirulina-Farm

     

    Nadakuppam Forest

    Der Forest hat Caro und mich persönlich am meisten interessiert, da es ja schließlich auch in erster Linie die Aufforstungsarbeit war, wegen der wir uns für das Projekt entschieden haben. Die Fläche des Waldes umfasst momentan 35 Acres (das sind ca. 14 Hektar), ist durch den Zukauf von weiteren Flächen aber stetig am wachsen. Dieser erst etwa 7 Jahre junge „Forest in the Making“ ist zum einen deshalb so interessant, weil dort wirklich von Anfang an zu beobachten ist, wie aus den trockenen Brachflächen langsam wieder ein richtiger Wald heranwächst, während der ausgewachsene, dichte und nunmehr schon über 40 Jahre alte Wald hier in Auroville nur noch sehr schwer erahnen lässt, aus welchem wüstenartigen und erodierten Boden er einst emporgesprossen ist.

    Zum anderen ist das Konzept dieses „integrativen Waldes“ sehr interessant, in dem es darum geht, u.a. auch landwirtschaftliche Flächen in den Wald zu integrieren. Diese werden organisch bewirtschaftet, um das Gebiet auch für die Landbevölkerung nutzbar zu machen und deren Akzeptanz für das Projekt zu gewinnen, das anfangs eher auf Unmut stieß, da das Bewusstsein für den langfristigen ökologischen Nutzen, wie so oft in dieser Welt, weniger präsent ist als das, für den kurzfristigen wirtschaftlichen. Vor allem aber, um zu zeigen, dass der Mensch durchaus in einer gesunden Koexistenz mit der Natur leben und auch wirtschaften kann.

    CIMG3819organische Landwirtschaft innerhalb des Waldes

     

    Am spannendsten aber ist das Wassermanagement-Konzept des Nadakuppam Forest, bei dem über die gesamte Fläche ein durch Kanäle und kleine Ablaufrinnen verbundenes System aus Teichen und Wasserauffangbecken angelegt wurde, welches dazu dient, das Niederschlagswasser der etwa dreimonatigen Monsunzeit langfristig auf dem Land zu halten und für die restliche, quasi vollkommen trockene Zeit des Jahres verfügbar zu machen. Das System wurde in entsprechend kleinerem Maßstab, einfach von den „Kaliveli-Wetlands“, dem Gebiet in dem auch Nadakuppam liegt, abgeschaut und kopiert. Dieses spezielle Wassernetzwerk hat sich dort auf ganz natürliche Art gebildet.

    CIMG3833CIMG3824vorher: Brachfläche                              jetzt: junger Wald mit Wassersystem

     

    Wieder einmal ein Beispiel dafür, dass bei technischen Fragen oft einfach nur ein Spaziergang durch die Natur, sowie ein genaues Beobachten und Verstehen derselbigen genügt, um das Problem zu lösen…

    Nach dieser wunderbaren Exkursion sind wir schon sehr gespannt darauf, noch tiefer in die Ökologie des hier heimischen „Tropical Dry Evergreen Forest“, kurz TDEF einzutauchen und freuen uns darauf, endlich auch selbst anzupacken und uns die Hände (vermutlich auch noch mehr) schmutzig zu machen, um bei der Aufforstungsarbeit und dem Anlegen des Wassersystems mitzuhelfen.

     


  3. Ein erster Eindruck

    September 8, 2015 by Vince

    Knapp 2,5 Wochen sind nun schon vergangen, seit ich zum ersten Mal meine Füße auf den indischen Boden setzte, auf dem sie nun über das kommende Jahr dahinwandeln sollen. Zeit genug, um einen kleinen ersten Eindruck zu gewinnen, den ich hier einmal teilen möchte:

    Nachdem nun die Einführungswoche vorbei ist, in der wir zusammen mit unseren KoordinatorInnen und MentorInnen durch Auroville tingelten, alle verschiedenen Projekte, in denen wir arbeiten werden und die Hotspots Aurovilles, wie Town Hall, Solar Kitchen und Matrimandir besuchten, sowie Vorträgen über die Entstehungsgeschichte, die ökonomische und politische Situation Aurovilles lauschen durften, ist zuerst einmal zu sagen, dass wir außerhalb dieses organisierten Programms und ohne Betreuung durch Locals wohl niemals in so kurzer Zeit einen solch umfassenden Überblick von Auroville und dessen Geschehen gewonnen hätten, da dieses eben vorrangig innerhalb der Projekte abläuft, die sich einem Besuch zwar meist nicht verweigern, trotzdem aber auch nicht als öffentliche Schauplätze fungieren, weshalb sie für unabhängige Kurzzeitbesucher eher schwieriger zu erleben sind. Gerade jetzt am Anfang war das zwar eine nicht unerhebliche Menge an neuem Input, der erst einmal verarbeitet werden muss, doch bin ich natürlich sehr dankbar dafür, diese Chance bekommen zu haben.

    Und trotz dieser Masse an Impressionen, bleibt es nur ein Kratzen an der Oberfläche – ein erster Eindruck, der vertieft werden möchte. Den ich mich wirklich freue zu vertiefen, denn Auroville, wie ich es bisher erlebte, scheint ein Ort vielfältigster Ideen und damit eines unglaublichen Kreationspotenzials zu sein, das darauf wartet, genutzt zu werden. Ob Ökologie, Bildung, Soziales, Nachhaltigkeit, Spiritualität, Handwerk, Technik, oder Architektur – ist mensch an etwas interessiert, kann er fast sicher sein, es in irgendeiner Form hier in Auroville zu finden.

    Vom Ideal der menschlichen Einheit zwar noch merklich weit entfernt, wirkt Auroville dennoch wie ein großer Ort der gemeinsamen Begegnung und vor allem des gegenseitigen Lehrens und Lernens. Ein Ort der Praxis, des Experimentierens, des Scheiterns und des Neu-Versuchens. Dabei zeigt uns diese Learning-by-Doing-Mentalität auf so schöne Weise, dass es im Prinzip keinerlei Voraussetzungen oder sonderlicher Professionen bedarf, um Großes zu erreichen.

    Und das stimmt mich wirklich zuversichtlich – nicht zwangsläufig für Auroville, sondern generell dafür, dass Theorien eines gesellschaftlichen Wandels und das nur allzu gern belächelte „Weltverbesserer-Denken“ gar nicht so utopisch sind, wie sie oft dargestellt werden. Wir müssen uns einfach nur trauen und damit beginnen, sie in die Tat umzusetzen.
    Und obwohl in Auroville längst nicht alles so Friede, Freude, Eierkuchen ist, wie es dessen Philosophie eigentlich vorsieht und es viele Dinge kritisch zu hinterfragen gilt, ist die Stadt in meiner Hinsicht für diesen Mut zur Tat und zum Versuchen alle Mal ein Vorbild.

    DSC00594 - Kopieein Ort der Begegnung…