Ein herzliches Vanakkam von der „weltwärts-Generation“ 2015/2016 🙂
In einem Monat heißt es für uns 17 Freiwillige: Abflug nach Indien.
Wir werden am 22. August von Frankfurt und Hamburg starten und über Dubai nach Chennai fliegen – dem nächstgelegenen Flughafen zu unserem neuen Wohnort fürs kommende Jahr, Auroville.
Die vergangene Woche haben wir gemeinsam in einer Fuldaer-Jugendherberge verbracht beim zweiten und somit letzten Vorbereitungsseminar vor Indien. Wir hatten dort eine sehr schöne Zeit, hatten jede Menge Spaß und haben auch noch einiges gelernt.
Etwa, dass Vazhaipazham (geschrieben, „zh“ = gesprochen, „r“) Banane auf Tamil heißt. Dass wir uns auf unsere Mitfreiwilligen im wahrsten Sinne des Wortes „blind“ verlassen können. Dass an Festtagen zu Ehren der Abermillionen hinduistischen Götter gerne mal das Bild des Lieblingsschauspielers auf einen Gottesaltar gestellt wird. Dass der Gott Brahma in Zyklen 4320 Millionen Jahre lang schläft. Dass im indischen Straßenverkehr als einzige Regel gilt: „Der Größere hat Vorfahrt“. Dass auf Tamil die Frage: „Hast du gegessen?“ (saappttiy-aa?), quasi gleichbedeutend ist mit „Wie geht es dir?“. Dass die Gründer Aurovilles sich 1968 vorstellten, die Stadt könne innerhalb von ca. 15 Jahren die olympischen Spiele ausrichten und in Zukunft über „rollende Gehsteige von Stadtteil zu Stadtteil“ verfügen. Dass viele Freiwillige ihren größten Kulturschock nicht nach der Ankunft in Indien, sondern bei der Rückkehr nach Deutschland erleben. Dass sich hinter „Kneipp“ keine Lokalität verbirgt wo alkoholische Getränke ausgeschüttet werden. Dass die zu zahlende Miete sich flexibel an die Höhe der Wohnunterstützung für uns Freiwillige in Auroville anpasst (–> und nicht etwa andersherum). Dass man auf Tamil bei Bedarf auch einfach mal englische Verben benutzen kann, wenn man nur „-panne“ anhängt (cleaning-panne, eating-panne,cooking-panne). Dass auch im Körper einer ausgewachsenen Teamerin noch ein fispelndes, süsses Kleinkind stecken kann, welches sich bei dem Anblick von Rehkitzen offenbart. Dass ein quasi improvisierter tamilisch-englischer Filmsong mit seiner eingängigen Melodie schnell mal auf fast 100 Millionen Youtube-Klicks kommt. Dass der indische Staatsapparat de jure stark bürokratisch ausgerichtet ist, de facto jedoch nur wenige Regularien umgesetzt werden. Dass es das neu ersonnene Sternenbild des „Cityrollers“ gibt, dessen vorderes Rad vom Jupiter gebildet wird. Dass man bei seinem ersten Fallschirmsprung auch einfach mal ungeplant unter dem Flugzeug an einem Seil hängen kann. Dass für Frauen in Indien auf dem Land leider oftmals ein gewalttätiger Ehemann besser ist kein Ehemann. Dass die stark hierarchisierte, patriarchale indische Gesellschaft mit ihrem traditionellen Zweigeschlechter-Denken weit müheloser „Transgender“ als drittes Geschlecht anerkennt als es in den meisten westlichen Ländern der Fall ist. Und, dass viele indische Männer überaus gut Tanzen können. etc.
Wie man an dieser unvollständigen Aufzählung hier merkt haben wir uns zumindest oberflächlich mit vielen verschiedenen Aspekten der indischen bzw. tamilischen Kultur auseinandergesetzt, haben uns als Gruppe noch intensiver kennengelernt, haben die ersten Grundlagen der tamilischen Sprache gelernt und uns mit zahlreichen Krisenszenarien auseinandergesetzt. Wir haben uns dabei auch mit unterschiedlichen Standpunkten gegenüber dem „weltwärts“-Freiwilligenprogramm und Kritik an diesem beschäftigt. Wie die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Programms zu beantworten ist scheint sehr kontrovers und zum Teil eine Frage des Blickwinkels zu sein. Ob es sich dabei etwa um einen „Ego-Trip ins Elend“ handele, das Geld effektiver eingesetzt werden könnte oder ob die Erfahrungen der Freiwilligen und der daraus resultierende Langzeitnutzen die Kosten wieder decken würden. Es bleibt für uns abzuwarten, wie sich unsere Sicht auf die Dinge während des Freiwilligendienstes verändern wird und ob wir letztlich zu einem klareren Ergebnis kommen, nachdem wir die Resultate unserer Arbeit für die Menschen vor Ort und für die eigene Entwicklung abschätzen können.
Die Vorfreude ist durch das Seminar jedenfalls noch einmal gestiegen (ja Caro, das „Vorfreudeflugzeug ist gestartet“ 😀 ) und wir sehen dem nächsten Jahr gespannt entgegen. Auch (oder gerade weil!) in dem Bewusstsein, dass das Leben in Süd-Indien mit vielen Problemen und Unannehmlichkeiten behaftet ist, die wir in unseren Breitengraden überhaupt nicht kennen, sehen wir unsere Zeit in Auroville ebenso als gigantische Chance für eine persönliche Entwicklung und viele unvergessliche Erfahrungen.