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November, 2015

  1. Indischer Fußball – Oxymoron?

    November 29, 2015 by Lukas

    Die Indian Hero Super League wurde 2013 gegründet, um Fußball in Indien populärer zu machen und in Zukunft indische Nationalspieler herauszubringen, welche ihre Nation durch die Qualifikation zur WM-2022 führen können. Die Indian Hero Super League nahm ihren Spielbetrieb, erstmals 2014 auf. Es gibt 8 Mannschaften aus ganz Indien, die zwischen Oktober und Dezember gegeneinander antreten und in einer finalen Playoff-Runde um die Meisterschaft spielen. Die Haupt-Attraktion der Liga sind in die Jahre gekommene Fußball Stars wie Roberto Carlos, Marco Materazzi oder Luis Garcia. Die Art der Liga – keine Auf- und Abstiege, sondern Sportfranchises – und deren Qualität wird in Europa zumeist belächelt. Kann so eine Liga nicht ernst genommen werden oder hält die Liga, was sie auf ihrer Homepage verspricht. Drei Freiwillige wollten es ganz genau wissen.

    Unser Trip hätte nicht besser starten können: Überschwemmung in Chennai. Aufgrund dieser kurzen und prägnanten Meldung wurde unsere Tripvorbereitung, um einiges komplizierter als gedacht: „Wird das Spiel überhaupt stattfinden, wenn halb Chennai unter Wasser steht?“, „Was müssen wir nun alles einpacken?“ und „Können wir den Reisepass bei soviel Regen überhaupt mitnehmen?“.

    Am Ende sind Flo, Hilal und ich mit einem Taxisharing relativ billig, schnell und trocken um 12 Uhr in Chennai angekommen. Achja, es hatte ja überhaupt nicht mehr geregnet. Unsere Tickets für’s Spiel hatten wir bereits online erworben und so konnten sie ohne große Umschweife an der Ticket Box mitgenommen werden. Der Anpfiff war noch viele Stunden von uns entfernt und so stärkten wir uns mit Parotta und Curry und bummelten ein bisschen durch die Straßen von Chennai. Wobei bummeln nun wirklich ein sehr positiv konnotiertes Verb ist, denn indische Großstädte sind anstrengend, es gibt kaum Gehwege und falls man einen findet, wird dieser durch Packet, Roller oder andere Gegenstände unpassierbar gemacht. Einige Seitenstraßen waren bis zu 30cm mit Wasser geflutet, aber der Teil der Stadt, in dem wir uns befanden, war noch verschont geblieben, verglichen zu den Bildern die man am Vortag im Internet sehen konnte. Wir fanden ein nettes Hotel gleich neben dem Stadion, wo uns auch ohne originale Dokumente wie Reisepass oder Residential Permit ein Zimmer gegeben wurde.

    Vor dem Anpfiff kaufte sich Flo noch Trikots beider Teams, die bald gegeneinander antreten sollten und schon sahen wir uns zwischen Chennai und Kerala-Fans und suchten uns die besten Sitzplätze in unserem Block. Vor dem Spiel sorgt ein DJ für gute, westliche Musik und das Stadion füllte sich langsam. Das Jawaharlal Nehru- Stadium (auch Marina Arena) bietet Platz für bis zu 40.000 Menschen, am heutigen Abend wird seine Kapazität jedoch nur zur Hälfte in Anspruch genommen. Was sofort auffällt: Es gibt keinen Gästeblock. Fans beider Lager sitzen zusammen im Block, in Deutschland eigentlich undenkbar. Einen Block voller treuer Ultras sucht man aber auch vergeblich – aber wie auch – denn die Liga ist ja erst ein Jahr alt. Die Zeit vor dem Anpfiff gestaltet sich genauso wie in Deutschland, die Torhüter beginnen mit dem Aufwärmen, danach die Feldspieler, jedoch wärmen die sich in etwa so diszipliniert auf wie die C-Jugend des SC Worzeldorf. Der Anpfiff rückt näher, die Spieler des Gegners und der Heimmannschaft werden vorgelesen, der Trainer von Chennai, Marco Materazzi, erntet den größten Applaus. Ja, genau der Italiener, der durch den Kopfstoß von Zinedine Zidan zum großen Feindbild Frankreichs aufstieg. Ein Vereinslied gibt es nicht, dafür wird genau vor Anpfiff die indische Nationalhymne gespielt. Nun noch ein eingespielter 10 Sekunden Countdown, „3… 2… 1…“, der Schiedsrichter pfeift an und Feuerwerkskörper erleuchten den Nachthimmel von Chennai.

    Die Stimmung ist gut, eingeübte Vereinslieder gibt es nicht, doch jeder Ballverlust und -gewinn wird durch den indischen Fan mit Jubeln oder Stöhnen kommentiert. Das Spiel zwischen Chennaiyin F.C. und Kerala Blasters F.C. ist sehr laufintensiv und gekämpft wird auch viel, immer fair. Nach 2 Toren und 2 weiteren Feuerwerk-Shows steht es zur Halbzeit 2:0 für Chennai gegen den völlig überforderten Tabellenletzten aus Kerala. Auch in der zweiten Halbzeit kann Kerala nicht zur Stärke der Vorsaison zurückfinden – damals Vizemeister – und wird mit 4:1 abgefertigt. Drei Tore vom Kolumbianer Mendoza, der auch schon beim VFB Stuttgart im Probetraining war, machten ihn gleichzeitig zum Topscorer der Liga. Auch ein kurzer Regenschauer kann das Spielgeschehen nicht stoppen und das kurzweilige Spiel erhöht die Chancen von Chennai, doch noch in die Playoffs zu gelangen. Nach Spielende müssen Hilal, Flo und ich noch für gefühlt 400 Selfies mit Indern im Alter von 8 bis 40 Jahren im Stadion verharren. Auf dem Weg zurück ins Hotel wird außerdem versucht uns noch mehr Trikots anzudrehen, doch wir schaffen es unbeschadet und ohne weitere Kleidungsstücke in unser Hotel.

     

    Fußball ChennaiFußball Chennai

     

     

     

     

     

     

     

    Am nächsten Morgen starten wir mit einem leckeren, indischen Frühstück unseres Hotels in den Tag. Wir machen noch einen Abstecher in einen Museumskomplex mit moderner Kunst, einem Kinder- und Naturkundemuseum, der nicht der Rede wert ist, denn jedem europäischen Kurator würden bei dem Museumsbesuch die Haarpracht verloren gehen. Unsere Rückreise treten wir mit S-Bahn, Zug, Bus und Autorikscha an und wir kommen tatsächlich noch vor Sonnenaufgang in Auroville an.

    Der Ausflug nach Chennai war seine Zeit und sein Geld auf jeden Fall wert, denn ein indisches Fußballspiel zu sehen, ist auf jeden Fall ein Erlebnis. Die Liga ist für ihr zweites Jahr schon gut strukturiert und bringt teilweise mehr Leute ins Stadion als die zweite deutsche Bundesliga. Der Fußball war taktisch manchmal undiszipliniert, doch wurde das durch Laufbereitschaft und Kampfwillen wettgemacht. Wenn es Chennai in die Playoffs schafft und es ein weiteres Spiel am Wochenende geben sollte, würden wir so einen Trip sicherlich wiederholen, wenn nicht gibt es ja noch andere Sportarten zu entdecken!

    Mit sportlichen Grüßen

    Lukas


  2. Das (hoffentlich baldige) Ende des Monsuns

    November 26, 2015 by Kaya

    Wie merkwürdig es klingt, Alltag. Morgens aufstehen, duschen, zur Arbeit bei WasteLess, Mittagessen in der Solarkitchen, Lebensmittel einkaufen, weiterarbeiten, zum Yoga, nochmal mit den Anderen weg, vielleicht Kino, Tagebuch schreiben, ins Bett.

    So schön ein geregeltes Leben auch sein kann, Alltag trägt für mich immer auch den Beigeschmack von Langeweile. Dass der Monsun uns in den letzten Wochen oft an die Häuser fesselte und den Himmel verdunkelte machte das nicht besser.

    Der Monsun ist hier in Indien die sozusagen wichtigste Jahreszeit. All das Wasser was da vom Himmel fällt ist das ganze Jahr super wichtig für jedes Leben und es möglichst lange verfügbar zu machen eine der Herausforderungen der Menschen hier. Gleichzeitig passiert es in flachen, abgeholzten Landschaften schnell dass der Monsun kostbare Erde abträgt, die beste Möglichkeit dem Entgegenzuwirken ist eine ausgeglichene Fauna, aber darüber können die Leute aus Pitchandikulam und Sadhana Forest bestimmt besser erzählen.

    Die ersten Wochen die wir hier waren war es an manchen Tagen noch ziemlich heiß (auch für indische Verhältnisse) und ich erinnere mich wie Darius, Anneke und ich voller Freude auf den Hof rausrannten um im Regen zu tanzen, als dieser endlich die lang gewünschte Abkühlung brachte.

     

    Glückliche Regentage

    Glückliche Regentage

    Und im Sommer wird es ja dann noch heißer, viel zu heiß. Wir werden nach Regen und Abkühlung dursten. Der Monsun wird da lange nicht so schlimm und vielleicht auch ganz angenehm. Ein bisschen Kälte hier, ein bisschen Regen da……dachte ich (und Andere auch).

    Unsere romantischen Vorstellungen von Monsum waren dann auch spätestens nach ein paar Überflutungen, Erkältungen, Schlammsturzbächen auf den Wegen und schimmelnden Klamotten und Matratzen recht schnell verflogen.

    In den letzten Tagen schien dann endlich wieder die Sonne und Chani meinte auf Arbeit nur: „Would you like a cafe?“ und schon fuhren wir mit den Motorrädern zum Café, aßen Eiscreme und Kuchen, tranken Cappuccino und werteten unsere letzte WasteLess Kampagne aus.
    Es ist, als würde mit dem Ende des Monsuns auch das Leben wieder aufblühen. Heute war das wunderbare Lichtfest auf Deepam. Die Menschen freuen sich über die Sonne, die ausnahmsweise mal wärmend und nicht brennend ist und meine zwei Pollover (die bei 24 Grad durchaus lebenswichtig waren) hab ich voller guter Hoffnung so gut wie weggepackt.
    Die Kinder rennen wieder auf La Terrasse rum, man sieht mehr Menschen draußen und selbst die Tiere kommen wieder aus ihren Verstecken (und werden dann leider regelmäßig überfahren).

    Der Alltag in der Monsunzeit ist jedenfalls bald zu Ende und dann gibt es tausende Pläne was man alles machen könnte: In den Seen baden die es jetzt gerade überall gibt, Motorrad und Fahrradtouren, einfach mal ganz weit weg, den Steinbruchsee suchen, „Humans of Auroville“ starten, ein Kinderbuch schreiben, sich mit den Streifenhörnchen auf Disciplin anfreunden, Wäsche waschen, den Sari tragen, mal wieder nach Hause schreiben, Leute treffen, die man länger nicht gesehen hat, nach Sadhana (die Weggezogenen besuchen), den Ehemaligen Weltwärtslern die Videos senden die wir zufällig auf der Videokamera hier gefunden haben, Mundharmonika spielen oder einfach mal wieder was auf dem Auroblog schreiben.

    Ich zieh jedenfalls erst mal am Wochenende um, nach Disciplin in ne Kapsel, worauf ich mich total freue und dann geht’s mit meinem Projekt WasteLess noch für ne Woche nach Mangalore und Mysore in Karnataka, wo wir Lehrer in Wastemanagement-education und in Umgang mit dem von WasteLess entwickelten Garbology 101 Kit ausbilden (aber das ist nochmal ein anderes Kapitel).

    So jetzt fängts vor meinem Fenster wieder an zu schütten….
    Uiuiui, da war der Enthusiasmus vielleicht doch ein wenig zu voreilig.
    Gute Nacht und bis bald 🙂


  3. Ein Traum

    November 17, 2015 by Ehemaliger WWler

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    Irgendwo auf der Erde sollte es einen Ort geben, den keine Nation als ihr alleiniges Eigentum beanspruchen kann. Einen Ort, in dem alle Menschen mit gutem Willen und aufrichtigem Streben frei als Weltbürger leben können und nur einer einzigen Autorität gehorchen: der höchsten Wahrheit. Ein Ort des Friedens, der Eintracht und der Harmonie, an dem jegliche kämpferischen Instinkte im Menschen ausschließlich dazu benutzt werden, die Ursachen seines Leidens und Elends zu bezwingen, seine Schwäche und Ignoranz zu überwinden und über seine Begrenzungen und Unfähigkeiten triumphierend hinauszuwachsen. Ein Ort, an dem die Bedürfnisse des Geistes und die Pflege des Fortschritts Vorrang haben vor der bloßen Befriedigung von Wünschen und Leidenschaften, vor der ausschließlichen Suche nach Vergnügungen und materiellen Annehmlichkeiten.

    An diesem Ort könnten sich Kinder in umfassender Weise entfalten und aufwachsen, ohne den Kontakt mit ihrer Seele zu verlieren. Erziehung wäre nicht dazu da, Prüfungen zu bestehen, Zeugnisse zu bekommen und Posten zu bekleiden, vielmehr würde sie vorhandene Fähigkeiten fördern und neue hervorlocken. An diesem Ort würden Titel und Rang ersetzt durch Gelegenheiten zum Dienen und Organisieren.

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    Den Bedürfnissen des Körpers würde für alle und jeden in gleichem Maße Rechnung getragen. In der allgemeinen Organisation würde sich intellektuelle, moralische und spirituelle Überlegenheit nicht durch die Maximierung von Vergnügungen und Macht im Leben ausdrücken, sondern durch einen Zuwachs von Pflichten und Verantwortlichkeiten.

    Künstlerische Schönheit in jeder Form, ob Malerei, Bildhauerei, Musik oder Literatur, würde allen gleichermaßen zugänglich sein. Gelegenheiten, die Freuden zu erfahren, die die Kunst mit sich bringt, könnten einzig und allein durch die Fähigkeiten des Einzelnen Beschränkung erfahren, nicht jedoch durch seine soziale oder materielle Position. Denn an diesem Ort wäre Geld nicht länger der höchste Herrscher. Individuelles Verdienst würde größere Gewichtung haben als der Wert, der sich auf materiellen Reichtum und soziale Position gründet.

    Arbeit wäre nicht länger ein Mittel, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Sie wäre ein Mittel, durch das sich jeder ausdrückt und seine Kapazitäten und Fähigkeiten entwickelt, während er zugleich dem Wohl der ganzen Gruppe dient, die ihrerseits für seinen Lebensunterhalt und seinen Arbeitsbereich aufkommt.

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    Kurz gesagt, es wäre der Ort, an dem Beziehungen zwischen den Menschen, die normalerweise fast ausschließlich auf Wettbewerb und Kampf gegründet sind, abgelöst würden durch Beziehungen des Nacheiferns, etwas immer besser zu machen … Es wären Beziehungen der Zusammenarbeit und der Brüderlichkeit.

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    Auroville möchte eine universale Stadt sein, in der Männer und Frauen aller Länder in Frieden und fortschreitender Harmonie leben können, jenseits aller Bekenntnisse, politischen Gesinnung und nationaler Herkunft. Der Zweck Aurovilles ist die Verwirklichung menschlicher Einheit.

    – Mirra Alfassa, Gründerin Aurovilles

    Auroville Bonfire

    Quellen: http://www.auroville.org/contents/537 / http://auroville.de/index.php/auroville/vision


  4. Jetzt für weltwärts 2016/17 bewerben!

    November 17, 2015 by Kaspar

    Kurzer organisatorischer Hinweis:

    Die Bewerbungsphase für die nächste Auroville Weltwärts-Crew ist eröffnet!
    Bis Mittwoch, den 7.12.15 kann man sich direkt bei bei AVI-D auf einen Platz bewerben.

    Hast du selber Interesse oder Bekannte, Verwandte, Freunde, Feinde, die schon in den Startlöchern stehen um Südindien zu erkunden? – Spread the word!


  5. Von drauß‘ vom Walde komm ich her

    November 16, 2015 by Vince

    Dünne Regenfäden fallen aus unbestimmter Höhe herab und weben auf der Erde ein omnipräsentes Netz aus Feuchtigkeit. Die Stromvorräte neigen sich dem Ende zu, die Solarpanels ächzen nach Nahrung, doch die dicke graue Wolkenwand zeigt sich als kompromissloser Wächter der Distributionswege. Kein Durchkommen möglich – Versuche zwecklos. Wie lang die Schimmelpilze wohl noch auf sich warten lassen, die vermutlich mit tropfenden Mäulern schon gierig die zahlreichen zum Trocknen aufgehängten Kleidungsstücke beäugen, deren Liste aussagekräftigster Eigenschaften schon seit Tagen vom gleichen Merkmal angeführt wird: Nässe.

    Begleitet vom lieblichen Jaulen singender Hunde ertönt der durchdringend metallische Klang eines Löffels auf dem zu ebendiesem Zweck umfunktionierten Zahnkranz eines Fahrrads. Da dieser Geräuscherzeugungsprozess weder sonderlich viel Kraft, noch monetäre Zahlungsmittel oder der gleichen, höchstens ein paar Nerven kostet, geizt die für den Klang verantwortliche Person auch nicht mit Wiederholungen des selbigen. Nach und nach trotten verschlafene Gestalten mit halb geöffneten Augen aus allen Ecken, um sich am gewohnten Platz zu einem Kreis zu versammeln. Das Geräusch ist inzwischen verklungen, die schwingende Luft hat sich beruhigt. Bevor man jedoch anfangen kann, die eingetretene Stille zu genießen, wird sie erneut von einem jähen kollektiven Schrei aus allen anwesenden Mündern durchdrungen: „Moooorning Ciiircleee!!!“, schallt es durch die 24°C kalte Luft dieses frühen dunkelgrauen Morgens. Ein bisschen Dehnen, ein bisschen Lockern – dann ist es Zeit für den „Sadhana Stretch“: Arme weit ausbreiten, dann alle Menschen umarmen und ihnen einen zauberhaften Morgen wünschen.
    Moment mal…Sadhana Stretch? …Sadhana? …Sadhana Forest? Genau, Sadhana Forest! Diese komische Öko-Kommune irgendwo da draußen im Wald vor Auroville. Denn dort wohne,
    lebe und arbeite ich jetzt seit nunmehr zwei Wochen.

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    Seit meinem letzten Eintrag sind ja nun schon ein paar viele Wöchelchen ins Land gezogen, auf dem sich in dieser Zeit natürlich auch einiges ereignet hat. So habe ich nach und nach gemerkt, dass ich mit der Situation in meinem bisherigen Projekt „Pitchandikulam“ und in Auroville irgendwie noch nicht so ganz zufrieden bin. Im Projekt fehlte etwas Struktur und die Möglichkeiten wirklich einmal produktiv zu sein, waren oft eher rar. Das Leben in Auroville war zwar luftig, leicht und locker, ich hatte viel Spaß, doch irgendwie war das noch nicht das, was ich in diesem Jahr erfahren möchte. Zu vertraut, zu statisch, zu komfortabel. Ich wollte mehr, beziehungsweise…weniger. Mehr neue Eindrücke, mehr Begegnungen, mehr Naturnähe, mehr Nachhaltigkeit, mehr Einfachheit – weniger Komfort und weniger Deutsch. Es ist interessant, wie sehr sich der Charakter ändert, wenn man eine andere Sprache spricht, gerade wenn der ursprüngliche Charakter sich so auf einen ausgeprägten Umgang mit der Muttersprache stützt, wie ich es bei meinem wahrzunehmen gedenke. Wenn, aufgrund mangelhaften Vokabulars in Englisch, diese intensive Nutzung von Sprache nicht mehr möglich ist, fallen damit auch alle Charakterzüge weg, die sich aus dem vertrauten Gebrauch dieses Medium heraus entwickelt haben. Übrig bleibt ein reduzierteres Ich; ein rationaleres, vielleicht auch langweiligeres. Es ist aber auch ein Ich, bei dem all das an die Oberfläche tritt, was vom „deutschsprachigen Charakter“ (Oh Gott, klingt das grausig!) zuvor überlagert wurde. So erlebe ich im Moment nicht nur die Lebensweise in dieser Community und die ständig wechselnden Menschen aus aller Welt, sondern auch mich selbst auf eine neue Art.

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    Und wenn wir in den Talks zusammensitzen, um über Veganismus oder Klimawandel zu diskutieren oder in den Sharings unsere Gedanken teilen; wenn ich mit meinen Händen Kompost aus Menschenkacke zerbrösele und die Kids der Community in der „Non-Talent Show“ ihre selbsterfundenen Geschichten und Lieder zum Besten geben; wenn wir stundenlang schweißüberströmt auf dem selbstgebauten Fahrrad-Stromgenerator strampeln, um Licht fürs Abendessen zu bekommen oder ich in der Mainhut sitze und plötzlich eine Schlange von der Decke fällt, um anschließend mit einem Blick reiner Selbstverständlichkeit weiter ihres Weges zu ziehen; wenn die neue Hauptkomissarin der lokalen Polizei zum Abendessen zu Besuch kommt, um sich die Community anzuschauen und dann mit stolzerfüllter Brust ihr Smartphone herumzeigt, auf dem sie ein Bild von sich neben dem ehemaligen Premierminister Rajiv Gandhi präsentiert; ja, und wenn wir im Forest einen neuen Erdwall bauen, um Erosion zu stoppen und bei strömendem Regen im mundproduzierten Takt eines Jazz-Schlagzeugs auf dem Wall herumtanzen, um die Erde zu verdichten – dann bin ich jedes Mal ein bisschen mehr davon überzeugt, dass Sadhana die Art von Projekt verkörpert, in der ich in diesem Jahr leben und wirken möchte. Eine Community, in der man nie weiß, was aus der kreativen Synthese all dieser inspirierenden Energien entstehen wird, die hier präsent sind; in der man nur weiß, dass etwas entstehen wird.

    CIMG3912  Stromgenerator für Regentage (wunderbar ineffizient für die Produktion von Elektrizität, aber bestens geeignet für ein ausgedehntes Training der Beinmuskulatur!)