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Anfangsstruggle

27. August 2024 von Leonie Hamprecht

(20.02.2024)

Schon wieder sind drei Monate in einem unglaublichen Tempo an mir vorbeigezogen und mein Freiwilligendienst ist bei seiner Halbzeit angekommen. Ein komisches Gefühl, dass es ab jetzt nur noch genauso viel Zeit bleibt, wie bereits vergangen ist. Auch wenn der Abschied noch in weiter Ferne liegt, entsteht ein mulmiges Gefühl in mir, wenn ich daran denke diesen Ort im August zu verlassen. Fast schon widersprüchlich dazu ist, dass mein Prozess in Auroville anzukommen ein Weilchen gedauert hat und absolut kein leichter war. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich mir an so manchen Herbsttag gewünscht habe mich nach Deutschland zurückbeamen zu können und mich gefragt, wieso ich mich zum Teufel für diesen Freiwilligendienst entschieden habe. Jetzt wo ich voll und ganz hier angekommen bin, habe ich das Gefühl mit vollem Herzen hier zu sein und weiß schon jetzt, dass der Abschied kein leichter wird.

Doch nun erst mal ein kleiner Rückblick bevor ich in die Zukunft schaue.

Wie schon bereits erwähnt, war die Anfangszeit nicht unbedingt ein Zuckerschlecken für mich. Ein signifikanter Faktor, der mir den Start erschwert hat, war die Sprachbarriere. Ich fühlte mich oft unsicher oder unwohl mich auf Englisch auszudrücken, was ein Hindernis darstellte Freundschaften zu knüpfen. Glücklicherweise hatten und haben wir nach wie vor einen starken Gruppenzusammenhalt in der Weltwärtsgruppe, sodass mein soziales Leben sich nicht völlig dezimierte. Trotzdem nagte das Bedürfnis nach erfüllten zwischenmenschlichen Kontakten einige Zeit an mir. Es kam mir so vor als sei ich in einer Zwickmühle gefangen, denn gleichzeitig fiel es mir schwer aktiver nach Freundschaften zu suchen, weil mich eine Mischung aus Angst und Unsicherheit blockierte offen auf neue Menschen zu zugehen. Zu sehen wie es den meisten anderen scheinbar mühelos gelang sich einzufinden, fügte eine weitere Schicht selbsterzeugten Drucks hinzu. In dieser Zeit kamen einige weitere Dinge dazu, die für mich belastend waren, wie beispielsweise das Ende meiner Beziehung, Tod in der Familie, die bloße Überforderung durch so viel Neues oder Unsicherheit im Umgang mit einer anderen Kultur, beispielsweise wie ich mich (als junge Frau) am besten verhalte, um keine kulturellen Grenzen zu überschreiten. Um mich in dieser Phase selbst zu stabilisieren, hörte ich mich nach psychotherapeutischer Hilfe um. Dabei unterstützten mich die Koordinatoren hier vor Ort, sodass ich wenige Zeit später Angelika (der hier ansässigen Psychotherapeutin) gegenüber saß. Parallel fing ich an verschiedenste Impulse aufzunehmen. Ein Thema was immer mehr mein Interesse gewann, war die gewaltfreie Kommunikation (NVC). So hangelte ich mich von Workshop zu Workshop mit einer Bandbreite von Stress-Reduktionstechniken über Tiefenökologie und von Buch zu Buch, sammelte neue Ansätze begierig und pickte mir das heraus, was für mich am meisten Früchte trug. Langsam merke ich jetzt wie so manche inneren Überzeugungen und Einstellungen sich transformieren oder über Bord geschmissen werden. Wenn man gewillt ist tiefer in das Gebiet der Persönlichkeitsentwicklung einzutauchen, bietet Auroville dafür zahlreiche Chancen und Möglichkeiten. Mit all diesen Stützen und vor allem mit Akzeptanz für das, was ist, konnte ich mehr und mehr den Boden unter den Füßen zurückgewinnen und mich für Veränderung öffnen.

Wenn mich jemand danach fragen würde inwiefern mich sechs Monate Indien verändert haben, würde ich wahrscheinlich drei Dinge antworten:

Zum einem habe ich das Gefühl, dass sich mein Verständnis von Lebensrealitäten geweitet hat dadurch, dass ich mit so vielen Menschen aus anderen Ländern, unterschiedlicher Kultur und Sozialisation in Kontakt gekommen bin. Natürlich habe ich bereits in Deutschland gewusst, dass in unserem System Hautfarbe, Geschlecht oder Vermögensklasse leider immer noch irgendwo eine Rolle spielen und dennoch beginne ich hier erst richtig zu begreifen, was es wirklich bedeutet und welches Ausmaß es zum Teil haben kann. Dies ist natürlich nur ein Aspekt von der Unterschiedlichkeit von kulturellen Begebenheiten, jedoch einer der für mich am meisten einschneidend ist.

Als zweite Veränderung würde ich mein Verhältnis zur Natur benennen. Wenn ich jetzt auf meinen Lebensstil in Deutschland zurückblicke, fühlt sich vieles etwas natur- entfremdet an. Dadurch das ich hier, in Indien, fast ausschließlich Zeit im Freiem verbringe, meine Füße seit der Ankunft kein einziges Mal mehr sauber gewesen sind, und ich mit den Insekten in friedlicher Koexistenz lebe, fühle ich mich deutlich verbundener mit unserer Umwelt. Auch ist mir hier erst richtig die immense „power of nature“ bewusst geworden, der man in Deutschland in unserem „relatively predictable and controlled environment“ nicht immer bewusst ist. Ich kann mich noch sehr gut an die Gewitter kurz nach unserer Ankunft erinnern. Manchmal lag ich nachts in meinem Bett und habe gedacht, dass die Welt um mich herum untergeht. Eine andere Perspektive auf unsere Umwelt gibt mir auch der Horticulture course, an dem ich im Rahmen meines Projekts teilnehmen darf. Dieser Kurs hat mir für viele Dinge die Augen geöffnet, wie wichtig zum Beispiel eine Veränderung in unserem Umgang mit Wasser ist und hat in mir tiefe Faszination für Pflanzen, Mycorrhizal fungi, Ameisen und weiteres geschaffen. Ich bin mir sehr sicher, dass dies mir als Wegweiser für meine berufliche Entscheidungsfindung dienen wird.

Zusätzlich zu meinem sich wandelten Verständnis von Kultur und Natur bemerke ich auch, dass sich auch meine Beziehung zu mir selbst in den letzten Monaten verändert hat. Ich beobachte mich selbst, wie ich immer mehr zu einer weltoffeneren, selbst-bewussteren, jungen Frau entwickele.

Nun ein kurzer Blick in die Zukunft. Ich hoffe sehr, dass das nächste halbe Jahr nicht so schnell vorbeigeht, wie das erste. Zudem möchte ich gerne mehr Fokus darauflegen, wie es für mich danach weitergeht, denn momentan sehe ich Unmengen an Möglichkeiten und Ideen, die noch etwas Sortierung bedürfen.


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