Nun ist es schon drei Monate her, dass wir, ein Haufen aufgeregter deutscher Freiwilliger, aus dem Flugzeug in Chennai gestiegen sind. Ob es sich eher wie drei Wochen oder drei Jahre anfühlt, kann ich nicht sagen. An einen Gedanken im Flugzeug erinnere ich mich jedoch noch ganz genau: “Was zum Teufel mache ich hier eigentlich? Wie kommt es dazu, dass ich mein komplettes Leben auf den Kopf stelle?” Eine Antwort auf diese Fragen habe ich immer noch nicht, aber ich bin froh, dass ich den Schritt gewagt habe.
Die ersten Eindrücke außerhalb des Flughafens fühlten sich wie in einer Reisedokumentation an. Alles war neu: Sprache, Gerüche, Klima – eben ein komplett neues Land auf der anderen Seite der Welt. Die nächtliche Fahrt nach Auroville, nach tetrisartigem Verstauen des Gepäcks, war trotz Müdigkeit unglaublich spannend: Willkommen in dem Land, in dem du die nächsten 12 Monate verbringen wirst.
Die kommenden zehn Tage standen unter dem Motto „Ankommen und Erkunden“. Gemeinsam mit unseren Mentor: innen (Gabi, Andy, Luise, Jürgen und Kanniapan) lernten wir wichtige Orte in und um Auroville kennen. Als fahrradfahrende ”Touri”-Gruppe besuchten wir zentrale Gebäude für organisatorische Anliegen, Jugendorganisationen, die Arbeits- und Wohnplätze der Freiwilligen sowie eine erste Auswahl an guten Essensplätzen. Auch ein Ausflug nach Pondicherry und ans Meer stand an.
Diese Tage waren voller neuer Eindrücke – unmöglich, sie alle aufzuzählen. Fest steht, dass ich mich sofort überraschend wohlgefühlt habe. Selbst mit der Hitze und ungewohnten Schwüle kam ich dank mehrmaligem Duschen am Tag erstaunlich gut zurecht.
Nach der behüteten Zeit im Guest House stand dann der Umzug in unsere eigenen Unterkünfte, und damit der Anfang des selbstständigen Lebens in Auroville, an. Zu viert sind wir in Celebration, einer Community im Norden Auroville, eingezogen.
Der erste Tag begann mit einer Großputzaktion, unterstützt von zwei Mentorinnen, die leider deutlich weniger brachte als erhofft. Bei drei geteilten Bädern, einer Gemeinschaftsküche für 8 bis 12 Personen und der hohen Luftfeuchtigkeit ist es unmöglich, Sauberkeit zu erreichen – geschweige denn, sie zu halten. Zudem liegt meine Arbeitsstelle am anderen Ende von Auroville. Im deutschen Verständnis ist das zwar keine Distanz, aber mit Regen ist das Fahrradfahren auf den Roter-Sand-Straßen nur so mittelmäßig. Celebration hatte auch viele schöne Seiten: angenehme Spieleabende, ruhige Umgebung, unschlagbare Nähe zum Supermarkt und das Kennenlernen von verschiedenen Menschen.
Nach einigem Überlegen entschieden sich eine weitere weltwärts-Freiwillige und ich für einen Umzug nach Udavi, einer Schule, wo der Großteil unserer Gruppe lebt. Dank unserer Mentor: innen verlief der Wechsel problemlos. Seit knapp zwei Monaten genießen wir nun unsere neue Unterkunft: saubere Bäder, helle Zimmer, (lautes & sehr frühes) morgendliches Vogelgezwitscher und einen deutlich kürzeren Arbeitsweg.
Und nun zu meiner Arbeitsstelle: WasteLess, einer aurovillianischen non-profit Organisation, die seit mehr als zehn Jahren an der Entwicklung von innovativen Bildungsprogrammen, Aktivitäten und Spielen zu nachhaltigem Konsum und Abfallmanagement sowie zur Plastikverschmutzung arbeitet. Hier gibt es noch mehr Infos.
Schon vor meiner Ankunft hier in Auroville habe ich mich über WasteLess informiert und versucht, ein möglichst genaues Bild davon zu bekommen, was ich im Jahr machen werde. Zweiteres konnte man mir, selbst bei den Vorbereitungsseminaren, nicht genau sagen, wodurch ich mit vielen Fragezeichen angekommen bin.
Ich lernte Chandrah und Ribhu, meine Chefs, bei einer Vorstellung von WasteLess und einer Einführung in die indische Müllproblematik während der Einführungswoche kennen. Schon damals war spürbar, wie engagiert und sympathisch sie sind – ein Eindruck, der sich in den letzten Wochen nur bestätigt hat und ich sehr schätze.
Am ersten Arbeitstag wurden mir alle Teammitglieder vorgestellt, allesamt super lieb und engagiert bei der Arbeit. WasteLess sitzt in der zweiten Etage des Re-Centers und besteht aus zwei Büros, einer außenliegenden Küche und einer Toilette. Seit dem ersten Tag habe ich meinen festen Arbeitsplatz an einem der schönen Holztische, gefüllt mit Keksgläsern und Blick ins Grüne. Gegen 10 Uhr gesellt sich täglich ein leckerer Kaffee an meine Seite.
In den ersten zwei Wochen verschaffte ich mir einen umfassenden Überblick über die bisherige Arbeit des Teams. Stundenlanges Lesen, Schauen und Absorbieren von Informationen – anstrengend für Augen und Gehirn, aber wichtig, um WasteLess und ihre Arbeit besser zu verstehen.
Die Einführungsphase endete mit einem Gespräch mit Ribhu und Chandrah, in dem meine zukünftigen Arbeitsgebiete geklärt wurden, wobei diese erstaunlich nah an meinen Wünschen liegen. Es ist erkennbar, dass mein Wohlergehen und persönliches Weiterentwickeln ihnen sehr am Herzen liegen. Danke dafür!
Grundsätzlich ist zu sagen, dass ich sehr selbständig arbeite und als Teammitglied, und nicht als Aushilfe, wahrgenommen werde. Was einem ein sehr angenehmes und wertgeschätztes Gefühl gibt. Meine anfänglichen Hemmungen englisch zu sprechen verringern sich kontinuierlich, da ich mittlerweile deutlich mehr als die Hälfte meiner Zeit im Englischen verbringe. Meine Aufgabenbereiche sind in zwei Projekte geteilt: Projektentwicklung eines neuen Curriculums über Freshwater und das Implementieren des Sea Change Programmes. Beides inkludiert selbstständige Computerarbeit, Online- und Team-Meetings und hin und wieder Schulbesuche in näherer und etwas fernerer Umgebung.
Mittags geht es für mich fast immer zur Solar Kitchen, hiesige Cafeteria, um mit anderen Freiwilligen und Bekannten und Freund: innen das leckere, frische (und im Vergleich zu DE unglaublich billige) Essen zu genießen. Anschließend geht es meist noch auf die Steinveranda von La Terrace. Der aufregendste Arbeitstag war mein erster Schulbesuch in Chennai, den ich ohne Unterstützung des Teams durchgeführt habe, da alle anderen mit ihrer Arbeit beschäftigt waren. Meine Aufgabe war es, Schüler: innen, Lehrerinnen und die Schulleitung zum Sea Change Curriculum zu interviewen. Im Rückblick war die Vorbereitung deutlich stressiger als der Besuch selbst. Ich wurde überaus freundlich empfangen und hatte besonders ab dem zweiten Interview große Freude an den Unterhaltungen, da es ein unglaublich spannender Einblick in die Auswirkungen der WasteLess Arbeit ist.
Meine Arbeit ist trotz umfangreicher Bürotätigkeiten sehr spannend, da ich erstmals einen Einblick in die Projektentwicklung und die andere Seite von Bildung bekomme. Ich arbeite meist sechs Stunden pro Tag, wobei ich (dank meiner eigenen Schlüssel) relativ selbstständig zwischen 9 und 17 Uhr meine Arbeitszeit einteilen kann. Ich bin sehr glücklich mit meiner Entscheidung, bei WasteLess zu arbeiten. (Danke Muna!)
Nach der Arbeit gehe ich je nach Wochentag zum Bouldern, Yoga oder Tamil Unterricht. Dazu war ich auch mehrfach bei einem Book Circle, habe Ausstellungen besucht und an Auroville-Aktivitäten wie der Karaoke-Pizza-Night teilgenommen. Abende verbringe ich entweder mit anderen Freiwilligen in der WG-Küche oder gehe mit Freund: innen Essen. Auch die Wochenenden sind häufig voller Aktivitäten und nur selten mit vollständigem Ausschlafen verbunden. Die ersten Wochenendausflüge in Tamil Nadu wurden erfolgreich und mit unglaublich schönen Erinnerungen gemeistert. Bei all den Beschäftigungen muss ich gelegentlich darauf achten, wichtige Aufgaben wie Einkaufen, Geld holen, Wäsche waschen, Nachrichten beantworten und Schlafen nicht zu vernachlässigen.
Soviel zu meinen ersten drei Monaten auf der anderen Seite der Welt. Bislang gab es keine allzu großen Herausforderungen – gesundheitlich, beruflich oder emotional. Heimweh? Fehlanzeige. Klar, ich vermisse wichtige Menschen, aber da gibt es ja zum Glück moderne Technik.
Ein großartiger Bericht, der mir unsäglich viel Freude bereitet und meine (fast tägliche) Anteilnahme noch steigert und mich noch viel neugieriger macht!
Weiter so liebe Cara! Ich wünsche dir noch 3 weitere so erfolgreiche und erfüllende Quartale am anderen Ende der Welt! Helga
Vielen lieben Dank!! Fühl dich gedrückt. <3
Hallo Cara,
dürfen wir Kontakt zu dir aufnehmen? Wir sind zwei alte Leute aus Karlsruhe (63+71), die gerade zum 2.Mal Auroville besuchen. Wir würden zu gern nämlich die Arbeit von wasteless kennenlernen. Wir hatten vor Jahren eco Service kennen-und schätzen gelernt und finden es so besonders, mit welchem Ansatz wasteless arbeitet. Wir wohnen gerade in Kalpana und sind auch immer wieder in der Solar kochen. Es würde uns sehr freuen, wenn wir über dich wasteless mehr kennenlernen könnten.
Christian und Dagmar
Hallo Christian und Dagmar,
vielen Dank für eure Nachricht. Gerne könnt ihr Kontakt zu mir aufnehmen- für wie lange seid ihr noch in Auroville?
Liebe Grüße, Cara
Toll Cara,
Wir freuen uns, dass deine Entscheidung richtig war und du Freude an der Arbeit hast.
Danke, danke!