Die dichten Nebelschwaden wabern über den Weiten von Tamil Nadu als sie von den ersten Sonnenstrahlen durchschienen werden. Ein diesiger Tag steht bevor, doch in den Dörfern und Städten leben die Inder ihren ganz normalen Alltag. Nach bereits zwei Stunden Autofahrt kehren wir fürs Frühstücken in ein Schnellrestaurant am Straßenrand ein – es gibt typisch südindisch Idlis. Weitere zwei Stunden stehen uns bevor, doch recht bald schon erheben sich wie aus dem Nichts Berge vor uns. Keine Steinhaufen wie in Gingee, nein, richtige Berge, denn heute steht mal wieder eine Visite in den Dörfern der Kalrayan hills an, um zu schauen, wie erfolgreich die Projekte von EcoPro dort sind. Für gewöhnlich besteht mein Arbeitstag darin, im Büro zu sitzen, research-Tätigkeiten zu erledigen oder an meetings teilzunehmen. Manchmal begleite ich meine Arbeitskollegen auch zu den Einsatzstellen ihrer Projekte, die sich zumeist in und um Auroville abspielen. Nicht so am vergangenen Dienstag. Die Einsatzstelle des Projektes meines einen Kollegen befindet sich in den ca. 230km entfernten Bergen.
Nachdem wir die ersten Berge und sehr viele Serpentinen passiert haben, eröffnet sich vor uns eine Art Plateau und die Qualität der Straßenbeläge nimmt rapide ab. Während wir im Auto regelrecht durchschüttelt werden, bleibt Ganesha auf dem Amaturenbrett standhaft stehen. Etwas enttäuscht nach vier Stunden Autofahrt, dass ich nicht länger dem morgentlichen Treiben Indiens zuschauen kann, steige ich aus und sofort merkt man, dass es hier „oben“ ein paar Grad kälter ist. Auch die Vegetation ist geringfügig eine andere. Im Laufe des Tages schauen wir uns drei Schulen an, in denen die Kinder oft unter- und mangelernährt waren. Durch den Bau von Küchen, Beratung beim Speiseplan und dem Auftreiben von Sponsoren konnte dieses Problem einigermaßen behoben werden. Auch wurden in einigen Orten hier Komposttoiletten gebaut (die ich ein anderes mal genauer beschreiben werde). Sie scheinen von den Bewohnern mehr oder weniger regelmäßig benutzt zu werden und sind dennoch sauber. Im Gegensatz zu einer anderen Einsatzstelle sind diese Toiletten hier „angekommen“ und stellen somit einen weiteren Erfolg für EcoPro da. Zuletzt haben wir noch einige Bauern besucht. Die Bauern hier haben sich auf organisches farmen eingelassen und einige benutzen sogar EM (effektive Mikroorganismen – werden auch noch ein anderes mal erklärt). Die Farmer wurden auf Fortbildungen in die Thematik eingeführt und unterwiesen und sind nun konsequent bei der Umsetzung. Bald schon wird EcoPro die Projektarbeit in dieser Gegend beenden können.
Es ist schön zu sehen, dass Projekte von Ecopro erfolgreich sein können. Doch was diesen Tag zu einem besonderen Arbeitstag gemacht hat, war das drum herum. Dass ich während der Autofahrt so viel von Indien sehen durfte. Wir sind durch viele Städte und Dörfer gefahren. Zuerst morgens, als sich alle so langsam zur Arbeit oder in die Schule begeben haben. Und dann abends, nach Arbeits- und Schulschluss. Überfüllte, lebendige Straßen nach Einbruch der Dunkelheit. Eine Reizüberflutung für alle (übermüdeten) Sinne, die ich einfach nicht in Worte zu verfassen mögen kann. Der Tag war lang, doch schlafen konnte und wollte ich während der Autofahrt nicht, zu groß war meine Gier, Indien zu sehen und zu beobachten. Verstehen tue ich dieses Land noch lange nicht. Dann die Mahlzeiten. Zum Frühstück in ein Schnellrestaurant am Straßenrand. Am frühen Mittag saßen wir bei einem Bauern herum. Was für ein herrlicher Ausblick auf die Berge, was für ein idyllisches Landleben mit all den frei herum laufenden Tieren und Kindern auf dem Hof, um den sich palmenbepflanzte Reisfelder ringen. Wir saßen dort bestimmt eine Stunde herum, haben geplaudert und bekamen schließlich eine frische Kokosnuss und eine gekochte Frucht, von der ich bis jetzt nicht weiß, was das war. Am späten Mittag begaben wir uns in einem Dorf in ein einfaches, düsteres Restaurant – Wände aus Lehm, ein Dach aus Palmenblättern. Zu Essen gab es Reis mit Sambar, serviert auf frischen Palmenblättern. Irgendwie hatte ich das Gefühl, von vielen Tamilen angestarrt zu werden. Habe ich mich beim Essen falsch verhalten, eine Regel vergessen oder lag es einfach nur an der Tatsache, dass ich „weiß“ war? Zum Abend haben wir in Pondi gegessen. Erneut Reis mit Sambar auf frischen Palmenblättern serviert, aber diesmal mit einer Hühnchenkeule. Ja, richtig echtem Fleisch. Es fühlt sich wie eine Sünde an, weil wir nicht mal einen Feiertag oder so hatten. Aber wer hätte gedacht, dass ich eines Tages mich wirklich mal nach Fleisch sehnen und darüber freuen würde, nachdem ich es in Deutschland des öfteren auch mal vermieden habe.
Am Rande dieses Blogbeitrags sei noch erwänht, dass der Wintermonsun letzten Freitag hier offiziell angefangen hat. Regen, Schimmel und matschige Wege werden unsere nächsten Wochen prägen…