Nach langen drei Monaten auf eine Zeit zurückzuschauen die wie verflogen scheint und darüber auch noch einen Bericht zu schreiben, kommt mir an einem Sonntagmorgen, nachdem ich die adoptierten Welpen an die frische Luft gebracht habe und durch unser Tor die früh-aktiven Inder mit fünf Kindern auf einem Motorrad losdüsen sehen habe, gar nicht so einfach vor.
Wo fange ich denn an?
Indien ist ein schönes, hässliches und atemberaubendes Land.
Es hat aber trotzdem nicht viel Zeit gebraucht um sich hinein zu finden. Natürlich findet man es immer noch schockierend wie die Inder mit dem Müll umgehen und sich am Ende einer wunderschönen Depam Tanz- und Singvorstellung aufs Essen stürzen; dann Pappteller und Besteck einfach fallen lassen und verschwinden. Man gewöhnt sich mit der Zeit aber an die stillen und aufbrausenden, schüchternen und doch kontaktfreudigen Inder. Was mir aber beim ersten großen Fest, bei dem wir hier in Indien waren, aufgefallen ist; durch die Kinder kommt man am ehesten an die Kultur heran, sie sagen einem wo man seine „Chappels“ ablegen soll, kippen einem kiloweise trockene Reisflocken in die Hand und winken einen immer näher an die große, pinke Ganesh-statue heran.
Ja, ich würde eigentlich sagen; die Kinder sind das Beste an Indien. Sie sind es, die mir das Gefühl verleihen am richtigen Ort zu sein und das richtige zu tun. Morgens düse ich mit meiner deutschen Mitbewohnerin Pira zur Aikiyam School; wenn wir auf dem Weg dann ein kleines “grünes Ding” sehen ist der Tag gerettet. “Kleine grüne Dinger” nennen wir die Schüler unserer Schule, da sie grün-karierte Uniformen tragen. Je kleiner die grünen Kinder sind, desto mehr versucht Pira herauszufinden ob das “ihre” Kinder sind oder “meine”. Ich arbeite in der 4. Klasse mit acht- bis zehnjährigen zusammen und unterrichte mit meinem co-teacher Murugan die 20 Kinder in mathematics, science, social-science und mit meiner co-teacherin Mala in english. Die Schule wird ab dem Kindergarten bilingual geführt, was zur Folge hat, dass die Kinder schon ein sehr gutes englisches Niveau erreicht haben (man munkelt, selbst besser als die meisten Inder…) wobei sie natürlich manchmal bei schweren Themen in Mathe oder Wirtschaft eine kurze tamilische Übersetzung brauchen. Während die Kinder ein auf 100% tamilisch geführten Tamil Unterricht haben, unterrichte ich mit Murugan in der dritten Klasse wieder Mathe.
Das hat mir am Anfang sehr zu schaffen gemacht, denn ich komme gerade aus dem Abitur und hatte für mein Leben und was danach kommt mit Mathe abgeschlossen und war damit der glücklichste Mensch auf Erden. Ganz so sollte es aber dann nicht kommen, musste ich in Indien lernen, und saß dann mit fünf hyperaktiven, konzentrationsschwierigkeiten besitzenden Kindern auf einer Bambusmatte und musste ihnen etwas beibringen was ich schon längst verlernt hatte.
Als in Mathe in der vierten Klasse auch noch in Lakhs anstatt in 100.000ern gerechnet wurde war ich endgültig verloren, wie sollte ich denn dann auch noch die gerade frisch geschriebenen Arbeiten korrigieren? Mit der Zeit habe ich mich ins indische System hineingefunden und auch endlich wieder gelernt wie man schriftlich multipliziert und dividiert. Jetzt glaube ich sogar fast, dass mein nicht vorhandenes Matheverständnis den Kindern zu Gute kommt, denn wenn Murugan auf eine etwas komplizierte Art und Weise versucht den Kindern den nächsten Rechenschritt zu erklären, sage ich ihm manchmal, dass er das eine nochmal klarstellen sollte oder den Schritt nochmal detailliert und in anderen Worten erklären sollte.
Was im Moment für sehr viel Vorfreude sorgt ist der Ausflug am Donnerstag nach Thiruvannamalai und auf dem Rückweg der Stop bei einem Staudamm. Im Rahmen des Social science Unterrichts hatte Murugan beschlossen einen Staudamm zu besuchen, der Idee haben sich dann auch die zweite und dritte Klasse angeschlossen und den Plan ein bisschen modifiziert. Die Kinder wurden heute gefragt ob sie sich gerne den Tempel in Thiruvannamalai anschauen wollen und haben alle „Yes, yes we want to go to the tempel!“ geschrien. Solche Aussagen bringen mich immer ein bisschen in Verwirrung, denn ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich vor Freude aufgesprungen bin wenn meine Eltern wir was von einem Zwischenstopp bei eine wunderschönen Kirche erzählt haben… Ich werde es vielleicht nie ganz verstehen wie stark die Religion und der Glaube in diesem Land den Alltag und die Erziehung prägt, wobei an sich habe ich ja noch 8 weitere Monate vor mir in denen ich damit umzugehen lernen kann!
Ich hoffe, dass ich in dieser Zeit auch meine Eigeninitiative weiter ausbauen kann. Bei was ich mich letztens selbst überrascht habe war, als Murugan mit der Klasse aus dem Buch gelesen hat (wovon es leider zu wenige gibt, so dass ich keins habe…) und ich mich dann kurzerhand zu den Schülern an den Gruppentisch gesetzt habe und so die zum teilweise abschweifende Aufmerksamkeit wieder auf das Unterrichtsgeschehen lenken konnte und somit schnell in eine hitzige Diskussion verwickelt wurde, wer denn welche Blumen- und Pflanzensamen für das nächste Pflanzen-Aufzuchts-Experiment mitbringt.
Ich glaube daran, dass es den Kindern gut tut, wenn Menschen versuchen mit ihnen über alles auf Englisch zu reden, selbst wenn es nur darum geht ob die Nachbarin wohl weiß wo die Samen in der Rose stecken. Shankar, der Schulleiter, hat vor kurzem in der „General Assembly“, die jeden Morgen abgehalten wird, verkündet, dass nur noch Englisch in der Schule gesprochen werden darf. Die Kinder unter sich sollen auch von Tamil auf Englisch wechseln und wer sich nicht dran hält muss einen Ruppee Strafe zahlen. Ich muss zugeben, dass ich diese Maßnahme etwas zu heftig finde, schon für deutsche Verhältnisse, aber vor allem in Indien. Im Endeffekt ist das aber auch nur eine Idee die bis jetzt noch nicht in die Tat umgesetzt wurde. Ich erinnere meine Kinder täglich daran, ohne natürlich das Geld zu erwähnen. Bei den Lehrern fällt mir das schon schwerer, zumindest sag ich der lieben Englischlehrerin Mala nicht, dass sie bitte Englisch sprechen soll. Wer weiß vielleicht kann ich mich in nächster Zeit auch dazu durchringen, schaden würde es jedenfalls nicht.
Der Trip liegt nun hinter uns und war ein voller Erfolg! Die Kinder waren, von ein paar Übelkeits-Anfällen im Bus abgesehen, durchgehend gut gelaunt und glücklich. Im Tempel haben sie voller Neugierde und Faszination den Mythen unseres Schulleiters über die Entstehung des Thiruvannamalai Berges gelauscht. Im Bus haben sie zu tamilischer Musik voller Elan im Gang getanzt, was Rebecca, die andere Weltwärts-Freiwillige in meinem Projekt, und mir etwas – wie soll ich sagen; ungewohnt vorkam.
Beim Staudamm haben sie gestaunt wie groß er ist und wie das Prinzip der Schleusenöffnung funktioniert. Ein kleiner Junge aus meiner Klasse hat in seinem Bericht über den Ausflug geschrieben: „ A dam is a big, big ocean.“ Ich habe da erstmal nur die Rechtschreibfehler korrigiert und war mir nicht so sicher, ob ich daneben in rot einen kleinen Satz schreiben soll der ihn desillusioniert. Ich glaub ich sollte noch mal mit ihm reden und ihm ein bisschen mehr erzählen von dem was ich in meinen 18 Jahren Leben so gelernt habe und er noch nicht.
Jetzt ist aber erstmal Wochenende und die Kinder haben genug Hausaufgaben bekommen über die sie sich Gedanken machen können.
Und ich genieße auch mein Wochenende und freue mich schon wieder auf Montag, wenn ich nach den „grünen Dingern“ Ausschau halte und es in die nächste Runde Hausaufgabenkorrektur, Worksheetvorbereitung, Streitschlichtung, weißen Reis essen, Spiele spielen, Bücher vorlesen lassen, Kinder in Gespräche über ihr Leben verwickeln und manchmal auch kleine Verbesserungen bei den Kindern bemerken, geht.
Und an alle die das hier lesen; ich glaube daran, dass ich das Richtige tue und denke und dass wenn jeder Mensch in seinem Leben ein Jahr in einer Schule im Ausland arbeitet würde, kultureller Austausch und kulturelles Verstehen deutlich mehr gefördert werden würde. Ich möchte mit diesem Satz bloß nicht versuchen zu missionieren, denn eigentlich kenne ich genug Leute bei denen ich mir nicht wünsche, dass kleine Kinder von ihnen unterrichtet werden. Kleiner Scherz am Rande.
Sehr schöner, informativer, lebendiger und spannender Bericht! Ich fühle mich bei der Lektüre fast selbst umgeben von „kleinen grünen Dingern“ und kann mich in die von dir beschriebenen Situationen sehr gut einfühlen. Bravo für deinen Einsatz, deine Kraft, neue Dinge zu lernen – oder Dinge anders zu lernen, bravo für deine Mut, dein Engagement und deine Zuversicht, was Kindern und den kulturellen Austausch betrifft.