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  1. Let’s talk about…. Herausforderungen und das (Alltags-)Leben in Auroville

    Februar 28, 2023 by Lucia Lenters

    Es ist Bergfest. Wir sind schon 6 Monate in Auroville. Heute ist ein Mittwoch – an einem Mittwoch bin ich auch angekommen. Obwohl mir damals die Wochentage ziemlich egal waren. Jetzt ist das ein bisschen anders. Inzwischen habe ich mir hier einen Alltag gebaut und eine Routine geschaffen. Ich weiß, an welchen Tagen es welche regelmäßigen Angebote gibt. Ich weiß, an welchem Tag es welches Essen in der Solar Kitchen gibt. Ich weiß, an welchen Tagen meine Lieblingscafes geschlossen haben und wann die Bäckerei glutenfreies Brot anbietet (obwohl ich das noch nie gekauft habe). 

    Mit meinem Alltagsleben, was sich hier so etabliert hat, geht es mir gemischt – ein bunter Blumenstrauß an Gefühlen. Es gibt Tage, da freue ich mich einfach hier zu sein und nichts kann diese innere Freude trüben. Dann gibt es aber auch Tage, an denen mir alles zu viel wird und ich ausbrechen will in die Freiheit – an denen es mich nervt, an einen Vertrag gebunden zu sein (auch wenn ich ihn natürlich selbst unterschrieben habe).

    Meine größte Herausforderung in den vergangenen Monaten war, vor allem in sozialen Kontexten, meine Grenzen zu setzen und mit ungewollter Aufmerksamkeit umzugehen. Nachdem ich mir Zeit genommen habe verschiedene Situationen zu reflektieren und mir Handlungsmöglichkeiten bewusst zu machen, hat sich mein Umgang damit geändert und ich bemerke, dass das Thema gerade nicht mehr so präsent ist. Vermutlich weil ich selbst mehr Klarheit im Kontakt mit Menschen habe und diese daher auch ausstrahle. Yay, Challenge accepted & accomplished. – Grade heute hatte ich dann doch mal wieder eine solche lustige Situation, in der ich nach dreimaligem klaren „Nein“, welche konsequent wegignoriert wurden (und man versuchte, mich ja doch noch zu überreden, „come on“ „are you scared of me?“ „i dont bite“ „yes sure sure, but come on, just a tea“ Blablablablabla…) einfach gegangen bin. Früher wäre ich wahrscheinlich noch mindestens 10 Minuten länger stehen geblieben, hätte mich doch zu nem Kaffee breit schlagen lassen oder meine Nummer rausgerückt (um dann nicht zu antworten aber mich dennoch schuldig zu fühlen weil ich ja auch nicht „ghosten“ will – bescheuert oder?). In der Beziehung kann ich hier in multiplen Situationen gut üben, meine People-Pleasing Tendenzen gegenüber Fremden ein bisschen abzulegen. Ich merke leider auch dass ich dadurch in meinen sozialen Beziehungen auch nicht grade kooperativer werde zur Zeit… ööhm…Naja – Alles nur ne Phase, das pendelt sich bestimmt wieder ein 😉

    Eine weitere Herausforderung ist für mich, hier in Auroville eine Balance zu finden aus Arbeit – Freizeit – Alltag – Neues. Ich habe das Gefühl, die Zeit, die ich in der Arbeit verbringe ist recht viel, dafür dass ich gerne noch Workshops mitmachen möchte, soziale Beziehungen aufbauen und pflegen möchte und nach der Arbeit aber oft auch erstmal Pause für mich brauche und um einfache Alltagsaufgaben (wie essen, einkaufen, wäsche, putzen) zu machen. Dabei entsteht dann manchmal so eine Art „Freizeitstress“, da ich möglichst viel mitnehmen will von den Workshops aber eigentlich gar nicht die Zeit und Kapazitäten dazu habe. In diesem Trubel vergesse ich dann schon mal abzuschalten, tief durchzuatmen und einfach zu relaxen. 

    Eine sehr aktuelle Herausforderung für mich ist, meine innere Ruhe zu bewahren und ganz Shaanti zu bleiben, wenn es um mein Motorrad und die Zuverlässigkeit (oder besser gesagt den Mangel an Zuverlässigkeit) von Mechanikern geht. Hier läuft die Welt halt ein bisschen anders – nicht alles was man sagt, macht man auch. Und “Nalaikkee, Nalaikkee” (Tamil für Tomorrow, Tomorrow) bedeutet nicht gleich Tomorrow, Tomorrow, sondern ehr (wenn du Glück hast): übermorgen – oder realistischer: nächste Woche (aber auch nur wenn du jeden Tag anrufst und nachfragst, sonst: übernächste vielleicht?). Ach wie schön, die pünktlich, ordentlich, zuverlässig geprägte Deutsche trifft auf eine andere Kultur! 

    Trotz oder vielleicht auch durch diese kleinen kulturellen Anpassungshürden merke ich immer wieder, dass ich sehr viel offener geworden bin und ich im Laufe der letzten Monate innere Vorurteile und Rassismen (auch wenn ich nicht stolz drauf bin) in mir entdeckt habe und beobachte, wie diese sich mit der Zeit langsam auflösen – das finde ich super schön. Ich merke, dass ich viel mehr ein Gespür für die Menschen entwickele, unabhängig von äußerlichen Merkmalen.

    In meinem Projekt, in das ich Anfang November gewechselt bin, fühle ich mich nach wie vor sehr wohl, das Team lebt eine sehr familiäre und trotzdem produktive ausgerichtete Atmosphäre. Eine Herausforderung im Projekt ist für mich aber dennoch, meinen Platz zu finden und sinnvoll beizutragen. Obwohl meine Arbeitskollegen sagen, dass ich super wichtige sinnvolle Aufgaben übernehme, kommt mir das selbst manchmal gar nicht so vor. Ich bin gespannt, wie sich die Arbeit im Projekt weiterentwickelt. Unter Anderem findet im März in Auroville eine Aktionswoche zum Thema Wasser statt, für die ich und meine Kolleg*innen Dinegar und Mukta etwas vorbereiten werden.

    Davor geht es jetzt endlich mal raus aus Auroville für mich. Bisher habe ich Auroville noch kein einziges mal länger als für ein Wochenende verlassen, – und selbst übers Wochenende auch erst ein mal zum hinduistischen Feiertag Mahashivarathri. Jetzt haben Luise und ich vor, für 9 Tage nach Hampi und dann nach Goa zu fahren – ein bisschen mehr von diesem großen Land erleben. Denn sind wir mal ehrlich: Auroville ist nicht gleich Indien. Auch wenn es immernoch in Indien ist. Aber eben ehr wie eine Auroville-Bubble in Indien. 

    Und: es wird jeden Tag heißer, der Respekt vor den Temperaturen des Sommers wächst! 


  2. Schwupps, die ersten 4 Monate rum.

    Januar 11, 2023 by Lucia Lenters

    Liebe Lesende,

    i proudly present, mein erster Quartalsbericht (von Anfang Dezember) in Blogbeitragsform 😉

    Part 1: Sadhana Forest
    Seit über drei Monaten sind wir bereits in Auroville, Indien. Die ersten zwei Monate habe ich im Projekt Sadhana Forest gearbeitet, welches eine vegan lebende Gemeinschaft bestehend aus vielen lang- und kurzzeit Freiwilligen ist, die sich hauptsächlich die Wiederaufforstung des „tropical evergreen forest“ zur Aufgabe gemacht hat. Neben der Wiederaufforstung gibt es auch weitere Projekte in Sadhana Forest, wie etwa die geretteten Kühe (Goshala) oder den wöchentlich stattfindenden „Eco Film Club“ am Freitag Abend.
    Der Tag beginnt in Sadhana Forest um 5.30 mit dem morgendlichen Weckdienst, den 1-2 Freiwillige übernehmen und dabei kreativ ihre musikalischen Fähigkeiten zum Ausdruck bringen können. Um 6.00 kommen alle im Morgenkreis zusammen um für 5-10 Minuten Dehnübungen zu machen, welche ebenfalls von immer wechselnden Freiwilligen angeleitet werden. Anschließend werden die Aufgaben für den ersten „Seva“ verteilt. Seva ist ein Sanskrit Wort und beschreibt den selbstlosen Dienst in der Gemeinschaft als spirituelle Praxis. Die Aufgaben im ersten Seva sind entweder die Zubereitung des Frühstücks für alle, die Küchenhygiene, Waldarbeit (pflanzen, graben, mulchen) oder das Kümmern um die Kühe. Um 8.30 endet der erste Seva und es gibt Frühstück für alle in der großen Gemeinschaftshütte. Nach dem Frühstück werden die Aufgaben für den zweiten Seva von 9.45 bis 12.15 verteilt, diese können die Zubereitung des Mittagessens, Putzen, Aufräumen, Termitenbehandlung oder die
    Toilettenhygiene umfassen. Nach dem zweiten Seva gibt es das gemeinschaftliche Mittagessen um 12.45. Nach dem zweiten Seva ist es allen freigestellt, wie sie ihren weiteren Tag verbringen. Es gibt zusätzlich eine Tafel, auf der zusätzliche Gemeinschaftsdienste verteilt werden, von denen jeder Freiwilliger wöchentlich 3 zugeteilt bekommt. Diese Dienste umfassen zum Beispiel das Kochen für das Abendessen, das Kümmern um die Kühe am Abend, die Zubereitung der Mahlzeiten am Wochenende oder das Spülen nach dem Essen.
    Neben dieser alltäglichen Struktur gibt es auch eine wöchentliche Struktur, welche sich in Sadhana Forest etabliert hat. Jeden Montag Abend gibt es den „Core Value Talk“, in dem sich alle Interessierten über einen der Kernwerte von Sadhana Forest unterhalten. Diese wichtigen Werte sind u.a. Veganismus, Mitgefühl (Compassion), Freies Lernen (Unschooling), kein Wettbewerb (non-competition), Schenkökonomie (gift-economy). Dienstags gibt es den „Sharing-Circle“, ein Raum in dem alle aus ihrem persönlichen Leben oder was sie grade beschäftigt erzählen können.
    Am Mittwoch gibt es die sogenannte „Non-Talent-Show“ in der gemeinsam nicht- kompetitive Spiele gespielt werden und Menschen etwas vorführen können. Am Donnerstag ist die „Night out“, da es kein Abendessen gibt gehen an diesem Tag die meisten Abends zusammen in Auroville essen.
    Freitags findet der Eco Film Club statt, zu dem immer besonders viele Besucher*innen in den Sadhana Forest kommen. Es gibt eine längere Tour über das Gelände des Projekts, anschließend wird ein Film gezeigt der häufig etwas mit Nachhaltigkeit, Veganismus, Artenvielfalt, Umweltschutz zu tun hat. Zum Abschluss wird Abendessen für alle serviert.
    Samstags wird meistens ein besonderes Abendessen zubereitet und Sonntag Abends gibt es ein wöchentliches Community Meeting, welches für alle verpflichtend ist. Bei diesem Meeting werden zusätzliche Aufgaben verteilt, die sonst nicht abgedeckt sind über die Tafel oder die Sevas. Das sind Aufgaben wie Essen servieren, Hunde und Katzen versorgen, Weckruf, Dehnübungen anleiten und mehr.

    Sadhana Forest

    Im folgenden erzähle ich ein bisschen, wie meine Erfahrungen in Sadhana Forest waren. Zu Beginn war ich ziemlich fasziniert von der Struktur und Haltung in Sadhana Forest und viele der Werte sind mir persönlich sehr wichtig. Die „einfache“ Art zu leben hat mir von Anfang an relativ gut gefallen, so finde ich es zum Beispiel total cool dass es nur Komposttoiletten in Sadhana Forest gibt und dass das Essen auf dem Feuer gekocht wird. Die Unterbringung in Sadhana ist eine kleine private Hütte für die Langzeitfreiwilligen, die Kurzzeitfreiwilligen sind in einer großen Schlafsaal-Hütte untergebracht. An das Leben in der Hütte musste ich mich erstmal gewöhnen, da die Hütten ziemlich klein sind und wenig Bewegungsraum und wenig Privatsphäre
    bieten. Die erste Hütte in der ich gelebt habe hatte zudem große schwarze Holzbohrer Bienen, welche unglaublich laut sind. Nach einiger Zeit habe ich dann meine Hütte glücklicherweise noch einmal wechseln können. Was ich wunderbar fand war, dass mich immer eine der Sadhana Katzen besucht hat in meiner Hütte.
    Zu Beginn habe ich die meisten der Aufgaben in Sadhana nacheinander ausprobiert um einen Überblick über die verschiedenen Aspekte zu bekommen. Nach einiger Zeit habe ich dann vor allem die Arbeit im Wald und das Kochen den anderen Aufgaben vorgezogen. Ich merkte bereits nach einigen Wochen, dass mir die konkrete Arbeit in Sadhana nicht wirklich Freude bereitet hat, da alles sehr repetitiv war und wenig Möglichkeit für kreative Ideen oder eigene Projekte gegeben wurde.

    Die Strukturen in Sadhana habe ich als sehr gefestigt wahrgenommen mit wenig Offenheit zu neuen Herangehensweisen oder Perspektiven. Bereits nach einigen Wochen wurde mir klar, dass ich nicht länger in Sadhana Forest bleiben will, da ich mich auch auf persönlicher Ebene nicht frei gefühlt habe. Durch die Gemeinschaftsstruktur, in der ich eine Hierarchie zwischen Freiwilligen und Projektmanagern deutlich gespürt habe, hatte
    ich das Gefühl auch in meiner Freizeit keinen Rückzugsort zu haben.
    Da es Malina ähnlich ging haben wir uns relativ bald an unsere Koordinator*innen und Mentor*innen gewandt. Zu Anfang November konnten wir beide unser Projekt wechseln und ich habe in meinem neuen Projekt Wasteless angefangen.

    Transforming Waste Together

    Part 2: WasteLess
    Wasteless ist eine non-profit Organisation die hauptsächlich Bildungsmaterialien und Spiele für Kinder zwischen 6 und 15 Jahren zum Thema Müll, Müllvermeidung und nachhaltigen Konsum entwickelt und aktuell das neue Bildungsprogramm „Sea Change“ veröffentlicht hat, in welchem es um Plastik und Mikroplastik im Ozean geht und die Auswirkungen, die dies auf die Umwelt und auf uns hat.
    Ich habe mich von Anfang an sehr wohl gefühlt und wurde herzlich aufgenommen von Ribhu und Chandra, die das Projekt ins Leben gerufen haben. Insgesamt besteht das Team zur Zeit aus 6 festen Mitarbeiter*innen. Einige Tage bevor ich zum Projekt dazugestoßen bin wurde „Sea Change“ veröffentlicht, ein Programm welches das Team von Wasteless speziell für Government Schulen in Tamil Nadu entwickelt hat. An meinem zweiten und dritten Arbeitstag hatte ich die Gelegenheit bei einem Teacher Training dabei zu sein, in dem die Lehrerinnen mit den Unterrichtsmaterialien vertraut
    gemacht wurden, um das Programm bestmöglich in ihren Schulen durchführen zu können. Die ersten zwei Wochen gab es viel zu tun und ich habe dabei geholfen, Pakete zu packen und an Schulen zu fahren um mit Schüler*innen eine Umfrage zu machen, die den Lernerfolg durch das Programm (vorher /nachher) erfassen sollen. Anschließend wurde es etwas ruhiger und ich habe mit dem Einführungsprogramm angefangen, welches Wasteless für neue Mitarbeiterinnen und Freiwillige entwickelt hat, um einen Überblick über das Projekt und das Anliegen des Projektes zu bekommen. Im Rahmen dessen habe ich mir die Bildungsprogramme und Projekte angeschaut, die Wasteless in der Vergangenheit entwickelte sowie verschiedene Dokumentationen zum Thema Müll und Plastik und die Konsequenzen unseren Umgangs mit Müll für die Umwelt und das Leben auf der Erde. Durch diese Einführung habe ich einen guten Überblick bekommen und bereits viel gelernt und merke schon jetzt, wie sich mein Verhältnis zu dem Müll, den ich produziere, verändert. Wie ich mich im Supermarkt noch einmal mehr frage: Brauche ich das (in Plastik verpackte) jetzt wirklich? Wie trenne ich meinen Müll eigentlich wirklich gut? Wo benutze ich Plastik in meinem Leben, welches ich leicht durch nachhaltigere Alternativen ersetzen könnte?
    Ich bin sehr froh, jetzt Teil des WasteLess Teams zu sein und bereits gespannt auf die nächste Zeit. In den kommenden Monaten wird sich die Arbeit weiterhin hauptsächlich um „Sea Change“ drehen. Im Zeitraum Januar/Februar werden wir verschiedene Schulen zur „Sea Change Celebration“ (ein Bestandteil des Programms) besuchen und die Umsetzung des Programms in den Schulen betrachten. Außerdem werden wir weitere Social Impact Befragungen an Schulen machen um den Lerneffekt zu evaluieren. Ich freue mich darauf nach meinem Einführungsprogramm jetzt langsam mehr in die konkrete Arbeit von Wasteless einzutauchen und daran mitzuarbeiten.

    Ein Bild was gestern (10.01.23) entstanden ist. Wir haben einen Fundraising Film für Wasteless gedreht – in dieser Szene stelle Ich mit den Schüler*innen die Social Impact Befragungen nach, bei denen ich im November mitgekommen bin.