Drei Monate bin ich jetzt schon in Indien, das ist etwa so lange wie ein Rettich von der Saat bis zur Ernte braucht oder so lange wie ich gebraucht habe, um mich nicht mehr vor diversen Insekten in meinem Lebensraum zu erschrecken.
Davon habe ich hier reichlich, denn ich arbeite und lebe auf einer der Farmen Aurovilles – Windarra. Vor eineinhalb Jahren wurde sie von einem neuen Stuart übernommen und es wurde die Terra Soul Community gegründet, der momentan etwa 12 feste Mitglieder angehören sowie zwei sehr knuffige Babys, vier Hunde, drei Katzen und eine ständig wechselnde Anzahl Freiwilliger.
Mein Tag beginnt mit Sonnenaufgang, wenn es noch angenehm kühl ist. Als Freiwillige beträgt mein Tagespensum sechs Stunden, die ich mir relativ frei einteilen kann.
Morgens arbeiten wir gemeinsam in den Feldern, wo wir täglich anfallende Arbeiten verrichten. Das beinhaltet Beete umgraben, Kompost verteilen, die Aussaat, dann die Pflege der Beete, mulchen, Unkraut jäten, aber auch Wege von Pflanzen freihalten, Bäume pflanzen, Hecken schneiden, etc.
Wir haben außerdem ein Gewächshaus, in dem wir Pflanzen vorziehen und sie dann später pflanzen.
Dreimal die Woche ernten wir und liefern das Gemüse an Foodlink, die es dann wiederum an die Läden in Auroville und an die Solar Kitchen verteilen.
Mittlerweile bin ich vertraut geworden mit all den lokalen Gemüsesorten, von Luki über Ladyfinger bis hin zu Chicken- und Basala-Spinat. Ich habe gelernt, alle Samen am Aussehen auseinanderzuhalten und Samen zu nehmen.
Anfangs war die körperliche Arbeit in der Hitze für mich eine große Herausforderung, sodass ich in meiner zweiten Woche einige Tage mit einem Sonnenstich gekämpft habe. Jetzt kenne ich meine Grenzen und arbeite angepasst an das Klima.
Die ersten Wochen des Monsuns waren dann die nächste Hürde. Wir haben im strömenden Regen stundenlang Reis gepflanzt, bis kein Kleidungsstück mehr trocken war. Die Wege standen unter Wasser und Kaulquappen tummelten sich darin.
Dann haben wir sogar einen kleinen Zyklon gemeinsam überstanden, der zum Glück keine allzu großen Schäden hinterlassen hat, aber trotzdem stark genug war, um diverse Bananen- und Papayabäume zu entwurzeln.
Vor einigen Wochen gab es das erste Großprojekt, Erdnussernte. Einige Tage lang waren alle Freiwilligen, Farmer und tamilischen Arbeiter damit beschäftigt, Erdnüsse zu ernten, abzuzupfen und die Beete für den Reis vorzubereiten.
In der Mittagspause essen wir gemeinsam ein ökologisches und vegetarisches Mittagessen, das zu Teilen aus unserem selbst angebauten Gemüse und Reis besteht.
Zu meiner Arbeit gehören natürlich auch Community-Dienste wie wöchentliches Mittagessen kochen, Putz- und Aufräumdienste und die Teilnahme am Community-Meeting, bei dem alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam getroffen werden.
Ansonsten habe ich alle Freiheiten der Welt, kreativ zu werden. Mit meiner Mitbewohnerin habe ich unsere Kapsel angestrichen und Regale aus Bambus gebaut. Unser nächstes Projekt ist ein Blumen- und Gemüsegarten vor unserem Eingang.
Andere Freiwillige haben eine Sitzecke in der Küche aus Schlamm und Stroh gebaut oder einen Holzkohleofen.
Ein weiteres Projekt ist Food processing, in dem Marmelade aus den Farmfrüchten gekocht wird oder Pesto und Erdnussbutter hergestellt wird.
Ein Grund weshalb ich mich sehr wohl in meinem Projekt fühle, ist der enge Kontakt zur Natur. Täglich sechs Stunden in Kontakt mit der Erde zu sein verändert und tut sowohl Körper als auch Seele gut. Und auch über die Arbeit hinaus lebe ich draußen. Alle unsere Gebäude haben keine festen Wände, sodass man niemals den Wind aussperren kann oder die Geräusche der Natur. Ich kenne das spezielle Vogelgezwitscher, das mir sagt, dass ich aufstehen muss und ich brauche keine Uhr mehr um die Zeit einzuschätzen, da ich ständig auf die Sonne und auf das Wetter achte.
Ein ganz besonderer Teil meines Freiwilligendienstes ist das Leben in einer Community. Ich hatte mich bewusst dafür entschieden und bin nach einer Eingewöhnungsphase glücklich damit. Es bringt sehr viele Schwierigkeiten mit sich sowie tägliche Konfrontationen zwischen Einzelpersonen und Kulturen, aber es ist unheimlich lehrreich und macht gleichzeitig viel Freude. Die Community ist für mich wie eine große Familie geworden und gibt mir Rückhalt.
Auf Windarra finden sehr viele Aktivitäten statt. Jeden Montag gibt es ein mehrstündiges Programm für Gäste, das afrikanischen Tanz, Body-Percussion und Lagerfeuer-Musik, sowie ein von uns Freiwilligen gekochtes organisches Abendessen beinhaltet.
Unter der Woche bieten die Community-Mitglieder verschiedene Workshops an wie Capoeira, Thai-Massage, Akro-Yoga, Meditation, etc. Hier können auch wir Freiwilligen aktiv werden, wenn wir Workshops geben möchten.
Über die regelmäßigen Kurse hinaus sitzen wir oft abends zusammen und machen Musik, kochen gemeinsam und verbringen Zeit miteinander.
Durch diesen intensiven Kontakt habe ich in dieser Community eine Art Familie gefunden. Aber auch die tägliche Arbeit mit den tamilischen Frauen macht Spaß und über alle Sprachbarrieren hinaus lernen beide Seiten daraus.
Meine Wohnsituation ist wegen des Lebens in der Community eine andere als die der anderen weltwärts-Freiwilligen. Ich teile meine Kapsel mit zwei älteren Langzeitfreiwilligen, was einen großen Einschnitt in die Privatsphäre bedeutet, die ich von zu Hause gewohnt war. Aber mittlerweile stört mich das nicht mehr, ebenso wie Komposttoiletten, Arbeit bei 35 Grad im Schatten oder schwarze Löcher in der Community-Küche, in der regelmäßig privates Essen oder Habseligkeiten verschwinden.
Windarra ist ein besonderes Projekt, weil es gleichzeitig Lebens- und Arbeitsplatz ist. Dadurch sind Leben und Arbeit nicht strikt getrennt, was viele Vor- und Nachteile hat.
Man muss bereit sein, den konventionellen Arbeitsbegriff aufzugeben. Auf einer Farm kann man nicht streng nach der Uhr arbeiten, sondern muss sich nach dem Wetter richten. Auch ist man ständig verfügbar, sodass man sich über seine Grenzen bewusst sein muss.
Gleichzeitig gibt es eine riesige Freiheit, weil man sich seine Arbeit selbst einteilen kann.
Die Herausforderung für jedes Mitglied ist, für sich persönlich herauszufinden, wo sein Platz ist und inwieweit er seine Kraft für die Community spenden möchte. Darüber sollte man sich bewusst sein, wenn man sich für das Leben hier entscheidet.
Lara – Windarra Farm
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