Wiedergekommen sind wir (die 8. Generation) am 8. August 2016, also vor etwa einem Jahr.
Dass wir jetzt genauso lange wieder hier sind, wie wir in Auroville gelebt haben haut alle mit denen ich drüber gesprochen habe schlichtweg vom Hocker. Ich hoffe der folgende Artikel beschreibt ein bisschen wie das Ankommen sein kann.
Natürlich kann ich nur aus meiner Perspektive beschreiben wie das letzte Jahr war und sicher erlebt jeder die Zeit ein wenig anders, aber ich denke, dass es Vielen in gewissen Dingen sehr ähnlich geht und vielleicht hilft dieser Artikel dabei ja…
Die Eindrücke die Indien hinterlassen hat sind überall in meinem Zimmer zu finden: Bilder und eine Auroville-map an der Wand, mit Kolams bedruckte Tagebücher im Regal, es fliegen indische Klamotten herum, die darauf warten von Hand gewaschen zu werden, weil sie die Waschmaschine nicht mögen. Auf einem kleinen Regal verstaubt die Ganesh Statue, die mir die damalige Disciplin-Gang zum 19. Geburtstag schenkte. An all den Dingen haften unglaublich viele Erinnerungen, beinahe als hätte ich versucht ein bisschen Indien mitzunehmen.
Witzigerweise denken immer alle Leute das Weggehen wäre am schwierigsten. Aber tatsächlich war das Jahr in Auroville eine große Chance auszuprobieren wie das Leben sein könnte, eine Art Traumwelt wo so Vieles möglich war und die Verpflichtungen so gering. Es war von Anfang an klar, dass dieses Jahr wieder zu Ende gehen und wir „Nachhause“ fliegen würden.
Im Gepäck hatten wir nicht nur Gitarren, eine Dosai-Pfanne, Tagebücher und bunte Saries, sondern hauptsächlich unglaubliche Momente, Erinnerungen, Eindrücke, Freundschaften und einen großen Haufen Tatendrang.
Herbst
An meinem ersten Morgen in Berlin lag ich in meinem Bett und fragte mich warum es so leise ist, vermisste die Geräusche der Farm und des Waldes und die Streifenhörnchen die garantiert gerade 6000km entfernt durch meine leere Kapsel jagten.
Das Rückkehrer Seminar war Mitte September, also ca. einen Monat nach unserer Heimkehr. Wir waren alle irgendwie wieder angekommen und lachten über unsere anfängliche Panik in deutschen Supermärkten und freuten uns über das indische Kopfnicken, dass die meisten von uns immer noch unbewusst machten. Gleichzeitig merkten wir, wie gut es tut von Leuten umgeben zu sein die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, die wissen was genau man meint, wenn man vom Schoko-Eis auf La Terrasse oder vom Verkehr auf der ECR redet.
Kurzum, die meisten von uns hatten das Gefühl, das schlimmste Rückkehrer-Tief bereits überwunden zu haben.
Wir verstreuten uns wieder in ganz Deutschland. Einige zogen gleich weiter, durch EcoVillages in Europa, mit Fahrrad in die Sahara oder zusammen durch Asien.
Wie fast die Hälfte von uns fing ich an zu studieren. Ich hatte das Gefühl noch ein Jahr reisen würde meiner Motivation (konzentriert) in einem Hörsaal zu sitzen nicht gerade guttun. Rückblickend die beste Entscheidung.
Die Ersten Monate in Deutschland waren Wunderbar – Endlich wieder die vermisste Familie und Freunde sehen, lange Erzählen was man alles erlebt hat, mit dem Fahrrad durchs nächtliche Berlin radeln und im Sari durch die Wohnung tanzen 😊 Dazu kam der Start der Uni und mit ihr viele unglaublich faszinierende Menschen, die ich kennenlernen durfte.
Winter
Erst später kam dann das wirkliche Rückkehrertief. Alle in AV hatten mir gesagt, dass ich was Ordentliches studieren soll, ein wenig Arbeiten, die Welt kennenlernen und dann immer noch entscheiden könnte ob ich nach Auroville ziehen möchte.
Nach einigen Monaten Uni kamen dann aber Zweifel auf, ob das wirklich das Richtige ist. Der Studiengang ist zwar irre schwer aber eigentlich von den Themen her genau das, was ich machen möchte und was mir Spaß macht. Trotzdem hatte ich das Gefühl irgendwie das Falsche zu machen. Ich wollte wieder was bewirken, draußen sein und nicht nur das Gefühl haben stupide Matheaufgaben vor mich hin zu rechnen.
Also ging ich wieder mehr zu Greenpeace, versuchte irgendeine Aufgabe zu finden die „richtig“ ist. Vince und ich kleisterten irgendwann den halben Boxi mit Plakaten zu einer großen Agrardemo voll und halfen bei der Demo als Ordner, wo plötzlich auch Jely auf einem Traktor an uns vorbeifuhr.
In dieser Zeit verklärte Auroville für mich zu einem Idealbild wo alles so schön und einfach war und das Leben definitiv von mehr Freiheit geprägt war als hier.
Letztendlich waren sogar meine (wunderbaren und sehr geduldigen) Freunde genervt von meinen Erzählungen, gemäß: „Dann geh doch zurück nach Indien wenn‘s da so schön ist.“ Aber irgendwann merkte ich, dass ich da eigentlich auch nicht mehr hinwollte. Ich wollte einfach nur raus, was erleben, neue Dinge entdecken, dem Unialltag und dem Winter entfliehen, Zeit zum Nachdenken haben und mal wieder schreiben. Witzigerweise merkte ich dann, dass es denjenigen von uns, die gerade diese „Freiheit“ lebten meist auch nicht viel besser ging – zu viel Zeit zum Nachdenken kann genauso schnell Probleme mit sich bringen.
Sylvester trafen sich ein paar von uns Weltwärtslern in Vellmar bei Kassel (Felix hatte eine Deutschlandkarte genommen und die Mitte unserer Wohnorte errechnet). Es war draußen eiskalt und die tolle Ferienwohnung so kuschelig dass wir kaum je rausgingen. Schnell lag man wieder faul auf den Sofas und erzählte einander von beinahe Motorradunfällen oder lachte über die tamilische Variante von Ziemlich beste Freunde.
In der Woche wurden so viele tolle Sprüche gekloppt, dass ich irgendwann mein Notizbuch holte und anfing mitzuschreiben 😉 hier ein paar davon: (wer uns kennt kann ja versuchen sie richtig zuzuordnen, als Urheber kommen in Frage: Jana, Jely, Felix, Laura und Caro)
„Ihr Wessis mit eurem beschränkten Vokabular.“
„Also mit Beziehungen, das ist so wie wenn du mit einem Motorrad gegen eine Kuh fährst.“ „Ahm, also?“ „Also wenn du mit deinem Motorrad gegen eine Kuh fährst dann gibt es noch tausend andere Kühe und tausend andere Motorräder!“
„Entweder du folgst, oder die Decke ist weg.“
„Für jede Lüge gibt es Abzug von deinem Schokoladenstück“
„Community ist, wenn Andere für mich Kochen.“
Frühling
Den ersten wirklich warmen Frühlingstag verbrachte ich im März auf Annekes Terrasse in Tübingen.
Vier Tage vorher hatte mich Caro mit der Aussage „Ich finde du solltest nach Stuttgart kommen“ angerufen, und da ich einfach zu überzeugen bin (und eine günstige Verbindung fand) fuhr ich zu Felix und Caro nach Stuttgart.
Da das mit Felix und Caros Tandemreise durch Peru bis dahin nicht geklappt hatte ging es nun halt mit Tandem und Lastenesel durch die Stuttgarter Anden nach Tübingen.
Die Verblüffung auf Annekes Gesicht machte die schwierige Fahrt wett und am nächsten Tag kamen noch Flo und Laura. Es war wunderbar sonnig, überhaupt ist Tübingen einfach wunderbar mit seinem Studentenleben und die halbe Zeit saßen wir auf Annekes Terrasse wo sie und Caro wieder die Gitarren hervorholten und wir eine Tafel Ritter Sport nach der anderen verzehrten, weil, (Zitat Felix) „Ist ja lokal!“.
Zwar wurde der Frühling immer noch von krassen Fernwehanfällen geprägt, aber ich fing an mich Abzulenken, begann Klarinette zu lernen und mich so stark zu beschäftigen, dass für Fernweh schlicht keine Zeit mehr blieb.
Ich fing an mit älteren Studis an der Ausgabe unseres Magazins zu arbeiten, was ausnahmslos witzig und anstrengend war, und was ich ohne die bei WasteLess gelernten Fähigkeiten so nicht hinbekommen hätte. Es tat gut endlich mal wieder etwas in den Händen zu halten, wo man einen Haufen Arbeit reingesteckt hat.
Später kamen auch Frederic und Catha von ihrer Asienreise zurück, hatten unglaubliche Dinge zu erzählen und standen komischerweise immer noch so auf Tofu wie vor einem Jahr. Kaum angekommen hatten die beiden schon wieder neue Pläne was man machen könnte und waren die meiste Zeit des Tages beschäftigt.
Zu der Zeit war ich selbst jeden Abend unterwegs, alles war plötzlich spannend: politische Diskussionen, kleine Konzerte in versteckten Kneipen, legendäre Grillpartys bei Freunden, abendliches Rumsitzen am Kanal, Feste die Berlin einfach feiert wie keine andere Stadt – und jedes Wochenende war irgendwie auch mit kleinen Reisen verplant.
Eine von diesen Reisen ging zu den AVI-Tagen nach Gut Frohberg, wo ja auch die neuen Weltwärtsler die bald nach AV fliegen (oder schon geflogen sind?) ihr erstes Seminar hatten.
Der Rollenwechsel war extrem witzig: plötzlich waren wir diejenigen, die die Fragen beantworteten (Wo kann man eigentlich in Sadhana..?), Geschichten erzählten, bei bestimmten Stichworten plötzlich laut loslachten oder verschwörerisch in unserem kleinen Kreis zusammensaßen. Gleichzeitig waren die neuen Weltwärtsler in genau der Situartion in der wir selbst vor 2 Jahren waren. Ihre Aufgeregtheit und Neugierde zu erleben war einfach wunderbar.
Sommer
Mittlerweile ist es Sommer. Die reisenden Weltwärtsler kommen nach und nach zurück und Berlin ist so träge geworden wie Auroville im Mai – auch wenn es hier deutlich kälter und nasser ist 😉
Mit den meisten Weltwärtslern meiner Generation bin ich noch in Kontakt, man sieht den ein oder anderen alle paar Monate oder Telefoniert um sich über den neusten Schwachsinn der mal wieder passiert ist kaputtzulachen.
In den letzten Wochen habe ich so viele Unglaubliche Dinge erlebt (angefangen bei einer Entführung bis hin zu dem Fakt dass meine Mutter für ein Jahr nach Nepal und Indien zieht) dass ich letztendlich eingesehen habe, dass es hier doch genauso abenteuerlich sein kann wie in Indien und dass man sich Freiheit irgendwie auch selbst schaffen muss. Im letzten Jahr habe ich tatsächlich rückblickend fast genauso viel Tolles erlebt wie im Jahr in Indien und das Nächste verspricht gerade noch um einiges besser zu werden 😉
Zwar hat das Ankommen emotional irrelange gedauert und wurde von einem Haufen Fernweh begleitet, aber letztendlich ist das ja vielleicht sogar ganz ok und führt dazu, dass man krass viele neue Dinge entdeckt und die Welt „Hier“ plötzlich doch besser ist als anfänglich gedacht.
Bleibt noch zu erwähnen, dass Caro, Felix und das Tandem es tatsächlich bis nach Peru geschafft haben, von wo sie dann dieses Beweisfoto (natürlich mit indischer Bearbeitungsqualität) geschickt haben: