Für alle, die in Europa sitzen und sich doch nach ein bisschen AV-Flair sehnen: Über Himmelfahrt steht vom 10.– 13. Mai wieder das Jahrestreffen von AVI-D an.
Unter dem Motto „Auroville: Gestern – Heute – Morgen“ treffen sich hier Jung und Alt, um sich mit Auroville und aktuellen Themen auseinanderzusetzen und ein schönes Wochenende zu verbringen. Einige Aurovillianer, die von der ersten Stunde an in Südindien mit dabei waren, sind auch mit von der Partie. Aber lest selbst in der Einladung vom Verein nach.
Wenn ihr mit dabei sein wollt – hier geht’s zur Anmeldung: Anmeldung AV-Tage 2018 Das Ganze findet übrigens im Seminarzentrum Schieferpark im Thüringer Naturpark Schiefergebirge statt: Staatsbruch 1, 07349 Lehesten
Bis Indien haben die meisten noch zu Hause gelebt und sind zur Schule gegangen. Hier standen wir auf einmal ohne Eltern da, an einem völlig neuen Ort und mussten uns im Laufe der Zeit ein neues Leben aufbauen. Und dann bekommt man auf einmal Besuch von der Familie, die bisher nichts mit dem Leben, welches wir hier in Auroville, Indien, führen, gemein haben geschweige denn überhaupt sich vorstellen konnten. Zwei Welten sind aufeinander geprallt und die meisten von uns fanden den Besuch von ihrer Familie, ihren Eltern am Anfang schon etwas anstrengend (und die krassen Temperaturunterschiede zwischen Deutschland und Indien von 30° C waren wohl nur ein Faktor).
Meine Familie selbst blieb nicht so lange in Auroville, denn sie wollten, wenn sie schon mal in Indien waren, auch etwas von diesem Land sehen. So mieteten wir uns ein Taxi für ca. eine Woche und erkundeten Südindien. Doch erst als wir Kerala erreichten, fühlte es sich für mich wie Urlaub an, denn dieser Bundesstaat weist direkt ab der Grenze merkliche Unterschiede zu Tamil Nadu auf. Es bestehen zwar nicht so große Differenzen zwischen den beiden benachbarten Bundesstaaten wie zwischen dem 2500km entferntem Rajasthan und Tamil Nadu, aber doch merkt man, dass die Menschen anders aussehen und eine andere Sprache sprechen. Das Christentum und der Kommunismus sind hier präsenter. Und am auffälligsten: Die anderen Landschaftsformen. Kein endlos weites, rotes Flachland, sondern grüne Berge und Backwaters. Die folgenden Bilder geben hoffentlich einen kleinen Eindruck davon.
Kurz vor ihrem Abflug stellte meine Mutter dann erfreut fest, dass es ja nur noch 4 Monate sind, die sie jetzt ohne mich auskommen muss. Mich selbst hat diese Tatsache eher etwas bedückt und ich musste feststellen, dass es ja eigentlich noch so viel gibt, was ich hier in Auroville noch ausprobieren und erleben möchte. Erschien mir im August vergangenen Jahres die vor mir liegende Zeit so ewig lang vor, verfliegt sie mir jetzt viel zu schnell. Also, ran an die Arbeit und an das nächste Abenteuer!
Die Zeit scheint zu verfliegen und Auroville ist für die meisten von uns mehr oder weniger zu einem zu Hause geworden. Wie genau es uns in den letzten sechs Monaten bisher ergangen ist, könnte ihr in unseren zweiten Berichten nachlesen. Hier ein paar neue bildliche Eindrücke:
Pondicherry
Am Filmset eines Kollywood-Films. Darf ich vorstellen: Das internationale Ärzteteam eines Krankenhauses in London (wobei uns im Film natürlich eine tamilische Stimme gegeben wird)
Auf einer typischen tamilischen Hochzeit morgens um 6 Uhr…
…mit typisch tamilischen Essen zum Frühstück
Vögel beobachten gehen am frühen Morgen
Holi, in Nordindien groß gefeiert, doch in kleineren Maßstäben auch in Auroville. Auf dem Bild zu sehen sind die zwei Weltwärtslerinnen, die mit einer anderen Organisation nach Pondicherry geschickt wurden. Allgemein sind wir schon auf einige andere Weltwärtsler, die sich zur Zeit in Indien befinden, getroffen.
Auf Arbeitseinsatz beim Öffnen der Kammer einer Komposttoilette
Auch das ist Arbeit ;P
Im Pichavaram Mangrove Forest
5 Tage Tangofestival in Auroville. Tagsüber Unterrichtsstunden und abends, bis spät in die Nacht, Milongas (Tango Partys). Den neuen indischen Kontakten aus anderen Städten wird bestimmt noch ein Besuch abgestattet werden.
Tango!
Wenn man in einer WG mit Indern lebt, lautet die Küchenregel Nr.1 : Koche stets für mehr Leute als ihr euch verabredet habt. Manchmal sind wir sogar noch mehr, als auf diesem Bild zu sehen sind. An solchen Abenden hört man die unterschiedlichsten Sprachen und was das Kochen betrifft, lernt jeder von jedem, denn es scheint, dass alle Bundesstaaten von Indien andere typische Gerichte haben.
Die Temperaturen fangen so langsam wieder an merklich über 30°C zu steigen, der von den trockenen Sandpisten aufgewirbelte Staub lässt die Pflanzen rotbraun erscheinen und der Winter ist dem Sommer definitv am Weichen. Dennoch wird Auroville immer noch von Unmengen an Touristen überrannt, was einerseits natürlich zu einem unüberschaubaren Angebot an Aktivitäten führt, aber andererseits z.B. auch zu einer überfüllten Solar Kitchen. Habe ich gesagt „trockene Sandpisten“? In den letzten Wochen fanden in Auroville sehr viele Bauarbeiten und Straßenabsperrungen statt, um den Straßen eine Decke zu verpassen, was dazu führte, dass man nerviger Weise ständig einen neuen Weg finden musste, um von A nach B zu kommen. Das Geld hierfür bekam Auroville übrigens von der indischen Regierung. Warum? Weil der Hon’ble Prime Minister of India Shri Narendra Modi einen kurzen Besuch abstattete, um zum Anlass von Aurovilles 50. Geburtstag eine kurze Rede zu halten. Ein paar Tage bevor er hier eintraf, sah man auf einmal die ersten Polizisten in Auroville (wo man sonst nie welche sieht). Und am Tag seines Besuches waren es auf einmal Hunderte von Polizisten. Weite Teile Aurovilles waren gesperrt und selbst in den Randbereichen konnte man sich nicht ohne Einschränkungen fortbewegen. So weit die aktuelle Situation hier bei uns vor Ort.
Der eigentliche Anlass, weshalb ich diesen Beitrag verfasse, ist, dass ich ein bisschen darüber berichten möchte, was in Auroville in den letzten 50 Jahren schon alles passiert ist und realisiert wurde. Und jetzt nach 6 Monaten Aufenthalt in Auroville hoffe ich, dass ich bereits einen ausreichenden Überblick über diesen Ort erlangt habe, um darüber wenigstens etwas schreiben zu können.
Die Gründung
Vor ziemlich genau 50 Jahren, nämlich am 28.2.1968 wurde Auroville gegründet. Die Ideen, auf denen Auroville basiert, wurden von Sri Aurobindo formuliert und von Mirra Alfassa, „der Mutter“, durch die Gründung Aurovilles versucht zu realisieren. Auroville soll ein Ort der „human unity – in diversity“ und des „unending education“ sein und „integraler Yoga“ ist ein geeigneter Weg dafür. Natürlich braucht so etwas mehrere Generationen und noch heute „experimentiert“ man in Auroville. Zu aller erst musste das Land wieder aufgeforstet und der Boden vor weiteren Degradationen geschützt werden. In den folgenden Bildern sieht man die beeindruckenden Erfolge:
Auch heutzutage ist „sustainable living“ noch wichtig in Auroville (wobei die Wiederaufforstung eher wegen der Überlebensnotwendigkeit als aufgrund eines großen Umweltbewusstseins erfolgte), besonders bei der Ressource Wasser. Ebenso wird Abfallmanagement betrieben und alle Farmen, die zu Auroville gehören, sind organisch. Doch Auroville ist deshalb noch lange kein Ökodorf. So gehören Motorräder hier genauso zum Straßenbild wie überall sonst in Indien. Und auch wenn man in vielen Bereichen schon recht fortschrittlich ist, so gibt es immer noch Potential zur Verbesserung.
Ein Aspekt, um die human unity zu realisieren, ist, dass kein Land und kein Gebäude einer einzelnen Privatperson gehört. Aurovillianer können für sich zwar Häuser von ihrem eigenen Geld bauen, doch die Eigentumsrechte hat Auroville. Aber noch besitzt Auroville nicht das komplette vorgsehene Land, denn einerseits liegen Dörfer in dem Gebiet und andererseits sind die Landpreise enorm gestiegen. Vor 50 Jahren wollte keiner ödes Land besitzen, heutzutage sehen die Landbesitzer ihre Chance mit dem begehrten Land Gewinn zu machen, worauf sich Auroville aber nicht einlassen will. Nebenbei bemerkt: Ein Ort, an dem auf einmal aus dem nichts eine Stadt entstehen soll, ist natürlich der perfekte Spielplatz für Architekten. Vorgaben gibt es kaum welche, was zu vielen beeindruckenden Gebäuden geführt hat. Oft designen die Aurovillianer ihre Häuser selbst mit.
Wie sieht es denn mit Geld aus? Alle Aurovillianer müssen einen gewissen jährlichen Beitrag bezahlen, bekommen dafür dann aber auch die meisten Aktivitäten kostenlos bzw. günstiger angeboten. Auf Bargeld will man weitesgehend verzichten, stattdessen besitzen alle Aurovillianer einen Account und andere Leute, die länger hier leben so wie wir, eine sogenannte Aurocard (auf die wir immer wieder Geld raufladen müssen). Im Supermarkt PTDC z.B. bezahlt man sogar nur einmal im Monat einen bestimmten Beitrag und kann sich dann den gesamten Monat über nehmen, was man braucht, ohne ständig zahlen zu müssen. Der Gedanke dahinter ist, dass man sich wirklich nur nimmt, was man braucht und nicht ständig auf den Preis guckt. Jedoch erfährt man am Ende des Monats dann, ob man seinen gezahlten Beitrag überschritten hat und muss evtl noch nachzahlen. Wenn man weniger eingekauft hat, als es der Beitrag möglich macht, wird der Rest an Auroville gespendet. Doch völlig ohne Bargeld kommt Auroville nicht aus, es handelt sich nur mal nicht um einen von der Außenwelt isolierten Ort, sondern jeden Tag strömen Touristen nach Auroville und auch die umliegende tamilische Bevölkerung, die in Auroville arbeitet, muss ja irgendwie bezahlt werden.
Nun muss ich aber noch erwähnen, dass nicht alle Aurovillianer auch hier in Auroville einen bezahlten Job haben bzw. sie dadurch genug verdienen. Viele haben sich zuerst in ihrem Heimatland (oder anderswo) durch ihre Arbeit einen gewissen Geldvorrat angelegt, um nun hier mit nur einem „kleinen“ Job oder sich vollkommen ihrem Hobby widmend leben zu können. Manche gehen (fliegen) auch jedes Jahr für ein paar Monate in ihr Heimatland, um zu arbeiten und etwas Geld zu verdienen. In Auroville soll man nicht um des Geldes wegen arbeiten, sondern weil man Freude daran empfindet, man anderen dadurch hilft und/oder dabei etwas lernt. Diesem Ideal folgen auch viele. Nur lässt es sich nicht immer so ohne Probleme leben. Immer wieder gab es auch Phasen, in denen nur solche Leute Aurovillianer werden konnten, die ausreichend Geld besaßen, was ja nicht gerade nach „human unity“ klingt. Doch das Problem lag (und liegt) darin, dass Auroville nicht ständig neue Häuser und Wohnungen bauen kann (bzw. Aurovillianer für immer Auroville verlassen und somit ihr Haus Auroville übertragen wird), die denjenigen zugewiesen werden, die sich kein eigenes Haus bauen können.
Ob Auroville wirklich so aussehen wird in der Zukunft mit 50.000 Bewohnern ist fragwürdig – doch die Galaxieform ist der bisherige Plan
Wer sind denn eigentlich diese Aurovillianer? Zur Zeit gibt es ca. 2700 Aurovillianer aus 50 verschiedenen Nationen, wobei die Inder, Franzosen und Deutschen die größten Gruppen darstellen. Eines Tages soll Auroville 50.000 Bewohner von überall auf der Welt beherbergen. Doch zu all diesen Aurovillianern kommen natürlich noch ein paar Hundert Freiwillige und Gäste (übers Jahr summiert Tausende), sowie Newcomer (so wird man die paar Jahre genannt, bevor man den Prozess der indischen Bürokratie durchgemacht hat und endlich ein spezielles Visum für einen längeren Aufenthalt mit Arbeitserlaubnis in Auroville bekommt). Außerdem werden viele der 35.000 Bewohner der umliegenden Dörfer (meist durch Arbeit innerhalb von Auroville) in das alltägliche Leben in Auroville eingebunden. Somit ist Auroville keine „gated community“. Dennoch ist Auroville weder Indien noch westliche Welt. Es ist ein spezieller Ort, den man nur dann am besten erfahren kann, wenn man in Auroville für eine längere Zeit lebt.
Wie sieht es mit der „Politik“ aus? Bei der Gründung gehörte Auroville dem Ashram und war somit nicht staatlich. Doch nach „Mutters“ Tod kam es in den 70ern zu Schwierigkeiten und so griff die indische Regierung ein und erließ 1988 den Auroville Foundation Act. Seit dem gibt es drei Körper, die Auroville „regieren“. Das Governing Board besteht aus von der indischen Regierung ernannten ehemaligen nationalen Politikern und wird durch einen Secretary in Auroville vertreten, dessen Aufgabe es ist, zu überwachen, dass nichts gegen die indischen Gesetze verstößt. Der International Advisory Council soll das Governing Board in manchen Themen beraten. Zur Residents Assembly gehören alle volljährigen Aurovillianer, die durch das Working Committee vertreten werden. Letzteres arbeitet mit dem Secretary zusammen. Solche Gremien findet man in Auroville recht viele. So kommen in der Farm Group die Farmer Aurovilles zusammen, um sich über bestimmte Themen zu beraten und Entschlüsse zu fassen. Meist jedoch müssten diese dann erst über das Working Committee vom Secretary zugelassen werden. Doch nicht immer sind diese Gremien funktional (was dazu führt, dass jeder tut, was er will) und gewisse Disskusionen werden in ihnen schon seit Jahren ausgetragen. So hat zum Beispiel „die Mutter“ gesagt, dass nicht alle Straßen und Wege geteert/gepflastert werden sollen. Doch es ist nicht zu leugnen, dass gepflasterte Straßen während des Monsun deutlich angenehmer sind. Zu einer Einigung ist man bis heute nicht gekommen, aber Auroville ist ja auch ständig im Wandel.
Ganz anderes Thema: Schule. Prinzipiell besteht keine Schulpflicht in Auroville, dennoch werden die meisten Kinder zur (für Aurovillianer kostenlosen) Schule geschickt. Noten bekommen die Schüler keine, außer in den letzten zwei Jahren, wenn sie sich dafür entschieden haben, einen internationalen Schulabschluss abzulegen. Natürlich sind auch die Schulen auf die Prinzipien Sri Aurobindos und „der Mutter“ abgestimmt. Wie allgemein in Auroville herrscht hier die Stimmung, dass man durch Selbstfindung seine eigenen Potentiale besser entfalten kann und das auch der Gemeinschaft zu Gute kommt. Orte zum Lernen gibt es hier viele – auch für Erwachsene, schließlich kann man im Leben ja nie auslernen. Doch ob diese Vielfalt schon als „unending education“ bezeichnet werden kann, ist nochmal ein anderes Thema.
Zum Schluss: Ist Auroville (bisher) ein Erfolg? Schwierige Frage, die wohl jeder für sich selbst beantworten sollte. Auroville basiert auf einer Charta mit vier Punkten und recht allgemein gehaltenen Aussagen. Außerdem ist Auroville einfach nur ein kleines Dorf irgendwo auf dieser Welt. Doch untätig sind die Bewohner hier nicht – sie bleiben am „experimentieren“.
Wen würde ich, wenn ich mich entscheiden müsste lieber heiraten: einen Inder oder einen Deutschen? Diese Frage hatte ich mir, ehrlich gesagt, noch nie so gestellt. Und doch tauchte sie am zweiten Tag der Reise auf, die Mira und ich nach Rajasthan unternahmen. Gestellt wurde diese Frage von einem tamilischen College Studenten, dessen Namen ich mir leider nicht merken konnte und den wir zusammen mit 6 seiner Kommilitonen auf unserer 38-stündigen Hinfahrt im Zug kennenlernten. Zugegebenermaßen war mir zunächst etwas mulmig zumute, als mir klar wurde, dass ich auf der ersten nächtlichen Zugfahrt meines Lebens das Abteil mit 7 fremden jungen Indern teilen würde. Jegliche Vorbehalte schwanden aber, da wir nach allen Regeln der Kunst mit ihren mitgebrachten Speisen gemästet wurden, sie verkündeten uns Tamil beibringen zu wollen, ein paar Augen über die Bettkante lugten, um mir zu versichern, dass bei „any problems at night“ ich nur zu rufen brauchte, und am Ende nicht nur die unvermeidliche Selfie-Time, sondern auch kunstvoller deutscher und tamilischer Gesang stand.
Diese für indische Verhältnisse nicht wirklich ungewöhnliche Begegnung sollte während der zehntägigen Reise keine Ausnahme bleiben. Denn nachdem wir im deutschen Stechschritt in zwei Tagen (fast) alle Touristenattraktionen in Jaipur abgeklappert hatten, stand die nächste Nacht im Zug auf dem Weg nach Jaisalmer an. Von der „Pink City“, wie Jaipur auch genannt wird, waren wir ziemlich erschöpft, weil jegliches Schlendern über die Straßen zwischen den Tourismus-Hotspots von allzu aufdringlichen Tuktuk-Fahrern, Geschäftseigentümern und der hohen Luftverschmutzung verleidet wurde.
Als wir daher müde auf unserer Sitzbank im Zug hingen, stellten wir überrascht fest, dass im Nachbarabteil des Sleeper-Class-Waggons sich noch ein weiteres weißes weibliches Wesen befand. Wie wir später feststellten war die mutige Reisende eine polnische Ärztin, die alleine und ohne großen Plan durch Indien reist, und auch auf dem Weg nach Jaisalmer war. Im Gegensatz zu uns traute sie sich während eines Halts unabsehbarer Länge aus dem Zug, um Essen am Bahnsteig zu kaufen. Unsere hungrigen Blicke waren scheinbar nicht so unauffällig wie wir dachten, denn sie teilte ihre Portion mit uns und ging dann, kurz bevor der Zug losfuhr, Nachschub besorgen. Aber auch für sie zahlte sich die Begegnung aus, denn als nach einer kurzen durchfrorenen Nacht der Zug tatsächlich mit einer halben Stunde Verspätung pünktlich um 5:20 am am Zielbahnhof ankam, hätte sie ohne uns als lebendige Wecker noch selig geschlafen. Als langsam die Sonne immer mehr und mehr von der architektonischen Schönheit und der müllüberzogenen Hässlichkeit Jaisalmers enthüllte, war unsere Laune kältebedingt leider nahe des Gefrierpunkts angelangt. Mit dem frühmorgendlichen Einchecken ins Hotel, einem leckeren Frühstück und dem darauffolgenden Besuch eines Desert-Festivals (Wusstet ihr, dass es Kamel-Polo gibt?) waren wir aber bald wieder guter Dinge.
Für die nächste Nacht im Zug waren wir mit einer zusätzlichen Decke und mit deutlich entspannterer und positiverer Stimmung bewaffnet. Außerdem gingen wir an diesem Tag nicht alleine zum Bahnhof, da wir auf der Kamel-Safari in der Wüste hinter Jaisalmer (unter anderem) einen Nord-Ost-Inder kennen gelernt hatten, der auch unser Zuggefährte werden sollte. Der Kamelritt während der Safari war für mich wie Pony-Reiten in der Wüste. Sehr, sehr große Ponys. Und erstaunlich gut erzogene. Der vorbildlich organisierte Ausflug beinhaltete aber nicht nur den erwähnten Ritt auf einem Kamel sondern auch das Übernachten unter freiem Himmel in der Wüste. Neben einer besonders schönen Düne wurde unser Lager aufgeschlagen und es war ein fast perfekter Tag mit einem wunderschönen Sonnenuntergang, einer folgenden Mondfinsternis, während der sich unzählige Sterne neben dem Blutmond hervortrauten, und schließlich einem beeindruckenden Vollmond, der mit seiner Strahlkraft der Sonne versuchte Konkurrenz zu machen. Seien wir ehrlich: In der Wüste hat der Mond da keine Chance, aber es war ein guter Versuch.
Nach einem Tag in Jaipur, den wir unmotiviert die meiste Zeit in unserem ehemaligen Hotel verbrachten, traten wir schon wieder die Rückreise Richtung Auroville an, um im Zug sofort vom indischen Klischee umzingelt zu werden: Eine Großfamilie mit einem unangefochtenen Hahn im Korb, einer fürsorglichen Mutter, zwei mitreisenden Tanten, einer rebellierenden Tochter und einem kleinen Sohn. Da auch diese Mitreisenden uns nicht verhungern ließen, steht fest,dass auch bei allen Unterschieden zwischen Rajasthan und Tamil Nadu (Sprache, Essen, Architektur, Menschen, Kühe) Indien mehr zusammen hält als nur „Faulheit und Chaos“.
Nach diesem fulminanten Abschluss unserer Reise bleibt nur noch eine Frage: Wen würde ich lieber heiraten: einen Deutschen oder einen Inder? Muss ich darauf eine Antwort kennen?