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Oh Boy – Filmkritik

22. Oktober 2015 von Lukas

Am Dienstag, den 21. Oktober, war es wieder so weit. Ein deutscher Film wurde im Kino der Townhall (Aurovilles Rathaus) ausgestrahlt. Diesmal wurde der Film „Oh Boy“ aus dem Jahre 2012 im rappelvollen Kino an die Leinwand projiziert. Hier eine kurze Filmkritik:

 

Die Wohnung steht voller Umzugskartons, die Bankkarte wird am Automaten ohne jede Vorwarnung eingezogen und Kaffee lässt sich nirgends finden. Wenn diese unglücklichen Umstände alle auf ein und denselben Tag fallen, sollte schnell klar sein, dass man vom Glück nicht verfolgt wird. Was einem bleibt sind zwei Dinge: entweder die Probleme eines nach dem anderen konstruktiv angehen oder sich auf einen ganztägigen Spaziergang durch die Berliner Großstadt begeben.

Der Protagonist Nico Fischer versucht sich zwar in Lösungsansätzen für seine Vielfalt und Vielzahl an Problemen, am Ende landet er jedoch trotzdem auf einem schier endlosen Pfad vorbei an den verschiedensten und urkomischen Ecken der Stadt. Der Weg von der neuen eigenen Altbauwohnung, über die Medizinisch-psychologische Untersuchung (kurz: MPU; kurz und gebräuchlich: Idiotentest) beim städtischen Psychologen und das Filmset eines Kriegsdramas, endet schließlich vor der Notaufnahme in einem Krankenhaus. Allein die Abfolge der Stationen lässt vermuten, dass sich die Konflikte im und um den Ex-Studenten Nico nicht in Luft aufgelöst haben. Schlimmer noch, das gesperrte Bankkonto endet in einem unausweichlichen Kontaktabbruch zum erfolgreichen Vater, das Vertragen zwischen dem früherem Bully und Ex-Mobbingopfer kulminiert im totalen Zerwürfnis und das Verlangen nach Kaffee muss mit Schnaps und Vodka gestillt werden.

Die Suche nach dem flüssigen braunen Gold zieht sich durch den gesamten Film und eignet sich bestens um die Hass- und gleichzeitige Liebeserklärung an die Spreestadt zu skizzieren. Es lassen sich alternative Theaterbühnen sowie Kiffer und Omas unter einem Dach finden, doch einen 0815-Wachmacher gibt es in dieser sich wandelnden Stadt nicht mehr. Die einzelnen Begegnungen mit dem verzweifelten und fußballverrückten Nachbarn oder mit den betrunkenen Jugendlichen sind alle sketchhaft, kurz hat man das Gefühl hier wurden nur Kurzfilme mit tollen Dialogen in burlesken Situationen aneinandergereiht. Doch dann entdeckt der Zuschauer, dass alle Begegnungen den Studienabbrecher mit fettigen Haaren zu seiner Selbstfindung anregen. Was möchte du mal werden: Mainstreamkonsument? Alternativer Theaterregisseur? Ein Bühnenkünstler, der für seinen Erfolg alles annimmt, oder der Schauspieler, der sich selbst und seinen Idealen treu bleibt und deshalb in die Bedeutungslosigkeit abdriftet? All diese Leute lernt Nico an einem Tag kennen, er selbst ist zurückhaltend und lässt keine Emotionen nach außen zu, die Leute, die auf ihn einen bleibenden Eindruck hinterlassen, sind laute, kunterbunte oder grandios gescheiterte Persönlichkeiten, die er in dieser Frequenz in keiner anderen Stadt hätte kennenlernen können.

Am Ende entdeckt der Zuschauer einen nachdenklichen Endzwanziger in einem Krankenhaus, der sich über das Leben Gedanken macht. War das Leben lebenswert, wenn man am Ende alleine und ohne erkennbaren Einfluss auf seine Umwelt verstirbt? Eine Antwort auf diese Frage gibt der Regisseur nicht, denn er lässt den Film hier enden. Ohne Antwort, ohne krönenden Abschluss und ohne katastrophale Tragödie.

Ach Junge, nach Hollywood wird es dieser Film nicht schaffen, soll er aber auch nicht, denn die schwarz-weiße Tragikomödie, welche mit Jazzmusik unterlegt ist, funktioniert am besten in seiner Herkunftssprache. Das müssen auch viele Zuschauer in der Townhall in Auroville feststellen, denn von denen, die den Dialogen unten auf Englisch mitlesen mussten, kommt meist das Feedback: „Ich habe nicht verstanden, um was es ging.“ Voller Begeisterung und Elan versucht man es zu erklären, um am Ende selbst festzustellen, dass der Film gar nicht einem besonderen Handlungsstrang folgt, sondern “nur“ alltägliche, jedoch trotzdem erwähnenswerte zwischenmenschliche Begegnungen festgehalten werden. Doch diese humanen Aufeinandertreffen im urbanen Schmelztiegel Berlin machen den Film zu dem, was er heute ist. Ein Film den man gesehen haben muss, wenn man auch ohne Action, blitzende Bildeffekte und Skandalstory kann.

 

 

„Oh Boy“ ist das Spielfilmdebüt des deutschen Drehbuchautors und Regisseurs Jan-Ole Gerster. Der Film wurde mehrfach ausgezeichnet und erhielt 2013 den deutschen Filmpreis in sechs Kategorien unter anderem für den besten Spielfilm. Der Student Nico Fischer wird von Tom Schilling dargestellt, auch andere namenhafte deutsche Schauspieler wie Justus von Dohnányi, Ulrich Noethen und Martin Brambach sind Teil der Besetzung.

 

Trailer:           https://www.youtube.com/watch?v=OHrZtRt5EKc

Website:         http://www.ohboy.x-verleih.de


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